Vermeidbare Ursachen eines Rückfalls

Begonnen von Sintram, 05 Juni 2010, 08:37:13

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Sintram

Nur ein verschwindender Teil an Depressionen Erkrankter verlässt die Klinik „geheilt“. Der Großteil muss sich mit medikamentöser „Einstellung“ und bestenfalls äußerst fragiler Wiederherstellung begnügen. Die Möglichkeiten der Nachbetreuung sind begrenzt, eine Psychotherapie bringt mitunter längere Wartezeiten mit sich. Der „Rückfall“ ist nicht selten vorprogrammiert.

Dabei liegt es weniger am Patienten, die während des Klinikaufenthaltes erkannten und aufgezeigten Verhaltensmuster erfolgreich zu ändern, als vielmehr an seiner Umgebung. Dieselbe erwartet die Rückkehr des Kranken in sein vorheriges Leben und übersieht gerne, dass eben dieses seine Depression sehr oft zumindest ausgelöst wenn nicht gar verursacht hat.

Eine langfristige Besserung und schrittweise Genesung verlangt zudem nicht allein eine Veränderung der Lebensumstände, sondern vielmehr eine solche der Persönlichkeit des Erkrankten, ein Umstand, der für gewöhnlich eine Überforderung für das soziale Umfeld des Betroffenen darstellt.

Das größte Problem der Depressiven ist somit ihre Rückkehr in die sogenannte normale Welt, zumal es immer noch Zeitgenossen gibt, in deren beschränkter Wahrnehmung Depression eine Art Wehleidigkeit und Charakterschwäche bedeutet. Das ist etwa so, als würde man einem Querschnittgelähmten Bewegungsfaulheit vorwerfen.

Der Depressive hat Recht und Anspruch auf Rücksichtnahme und Entgegenkommen seitens der Mitmenschen. Reagieren diese aber mit Unverständnis, demütigendem Mitleid oder gar mit Ablehnung und Aggression, ist Rückzug bisweilen die einzig mögliche Verteidigung.
Die ohnehin verminderte Konfliktfähigkeit des Kranken verlangt ihm einen verantwortungsvollen Umgang mit seinem Kräftehaushalt und stete Selbstkontrolle in punkto Belastbarkeit ab. Eine rücksichtslose und uneinsichtige Umgebung kann und darf zum Wohl des Erkrankten nicht zu seinem eigenen Problem gemacht werden. Er ist unter Umständen gezwungen, sich von seiner Umwelt zu distanzieren und vor ihr zu schützen.

Dies wiederum birgt freilich die Gefahr der Isolation und Vereinsamung in sich, der besten Voraussetzung also für ein erneutes Abgleiten in die Depression. Der Kranke befindet sich in einer Art Teufelskreis oder Zwickmühle, der zu begegnen und widerstehen ihm ungeheure Kraft abverlangt. Ein erbarmungsloser Existenzkampf, der nur allzu oft ein Erschöpfungssyndrom und einen erneuten Zusammenbruch zur Folge hat.

Hinzu kommt erschwerend, dass Gefühle und Entscheidungen, die der Depressive in dieser Phase trifft, von seinen Mitmenschen weder ernst genommen noch gefördert werden, da er in ihren Augen den Status der Unzurechnungsfähigkeit erfüllt. Die Relativierung und Infragestellung derselben durch die „Gesunden“ ist eine Form tiefster Demütigung und Entmündigung.

Deshalb tauchen in den Kliniken die meisten entlassenen und wiederhergestellten Patienten alsbald erneut auf, oft in desolaterer Verfassung als zu Beginn ihres ersten stationären Aufenthaltes.

kaktus

Lieber Sintram,

ich habe mit großem Interesse deinen letzten Beitrag gelesen. Ich falle übrigens in die Kategorie 'rücksichtslose und uneinsichtige Umgebung' :) Nein, Spaß beiseite.

Die Schwierigkeit, die ich persönlich mit der Krankheit habe ist, dass es für mich nicht oder nur sehr schwer ersichtlich ist inwieweit sie die Betroffenen einschränkt. Die Tatsache, dass die Betroffenen häufig die eigenen Bedürfnisse nicht kennen oder nicht äußern können, was sicherlich ein Bestandteil dieser vielschichtigen Erkrankung ist, macht es leider nicht leichter.

Nichts liegt mir ferner als zu oben genannter Kategorie gehören zu wollen. Daher wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir deine persönliche Sicht darüber mitteilen könntest, wie die Umgebung eines Erkrankten zu dessen Gesundung beitragen kann.

Viele Grüße
Kaktus

Paranoid_Android

#2
Sali

Das was mich daran stört ist das Ding, Gene gegen Umwelt. Der Gen-Einfluss lass ihn bei 70% sein, die Wissenschaft diskutiert weniger. Ich als Molekularbiologe weiss das, darum sage ich es auch. Ich könnte dir jetzt auch was über Rezeptorvarianten blabla erzählen, die eben anfälliger machen. Mach ich nicht und selbst wenn es so viel eben ist 70%, da sind immer noch 30% die an einem selbst liegen, der Umwelt. Leben ist ein offnes System, das nie konstant ist, sich permanent ändert. Inzwischen ist es auch anerkannt, dass das Gehirn plastisch ist und im gewissen masse  andere Denkmuster lernen kann.

Und geheilte Depressive 70% sind also wenig? Für mich nicht. 70% das sagt die Statistik, geheilt eben mit dem Manko, kann eine Rückfall mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erleiden muss aber nicht. Dieses unwissende Ding ohne Fakten, was du aus deiner Sicht verbreitest, ist nicht ok, kann andern die Hoffnung nehmen. Ist es das was du willst, das andere so werden wie du? Hoffnungslos, verbittert?

Der Depressive hat also Rechte, ja, er hat aber auch Verpflichtung, nicht mit seinem Schwarz sehend die Welt zu infizieren. Stell dir mal vor jeder Arzt würde rum rennen, ja sie haben eine Krankheit, z. B. Krebs, kann man manchmal heilen, aber wahrscheinlich sterben sie sowieso, soll ich ihnen direkt den Gnadenschuss geben? Ach nein doch nicht, ich verstehe sie wollen anderen auch noch mitteilen, dass sie verloren sind. Genau so kommt das rüber.

Ich weiss wie alt du bist, wahrschilich über 50 oder älter? Ich bin der Generation X angesiedelt und mit der hat sich inzwischen wohl eine neue Generation etabliert, die Depression nicht als Charakter sieht, sondern als was Normales. Wer durchläuft heute nicht eine depressive Phase im Leben?  Das sagt auch jede Fachliteratur, dass dies fast jeder Mensch macht, nur die Stärken eben unterschiedlich ist. Wann warst du das letzte Mal in der Welt, hast mit Menschen geredet? 90% meine Freunde, Bekannten  hatte solche Episoden, verstehen das deprimiert sein, wissen wie schnell einen etwas an den Abgrund treibt.

Bist du jemals auf die Idee gekommen, dass das was du erlebst, einzig dein persönliches Ding ist? Krankheit kultivieren eben, so kann man nicht geheilt werden. Und es wundert mich in so nicht wirklich, dass man sich  damit isoliert.

Es tut mir leid, wenn das jetzt wie ein Angriff klingt, aber das was du schreibst, bringt so ein falsches Bild rüber, da ist es einfach nur eine Konsequenz, wenn die angeblichen Gesunden die Depressiven  nicht verstehen.

Sintram

#3
Hallo Kaktus,

das ist die entschiedende Frage, die Du mir da stellst.
Wie soll eine Umgebung ahnen, was für unsägliche Qualen ein Depressiver gerade durchmacht, wenn dieser gelernt hat, sie perfekt zu verstecken und hinter undurchschaubarer oft heiterer Maske zu verbergen?
Aus Scham, Angst und der Scheu, seine Umgebung mit seiner Krankheit zu belasten. Und infolge der bitteren Erfahrung, im Falle einer Mitteilung auf Unverständnis oder Gleichgültigkeit zu stoßen.

Eigentlich würde ein wenig Bemühen seitens der Umgebung schon genügen. Gerade im familiären Bereich, aber durchaus auch im beruflichen.
Der Besuch eines Vortrags über Depressionen etwa. Ein Sachbuch zum Thema. Ein bisschen Information, um die eigene Sensibilität und Aufmerksamkeit zu fördern.

Oder ein Gespräch mit dem Erkrankten. Auf was er der Gesunde, Vorgesetzte, Partner, denn achten solle. Worauf er Rücksicht nehmen müsse. Wie er helfen könne oder sich zumindest respektvoll zurückziehen, den Kranken einfach nur in Ruhe lassen.
Die ehrliche Bitte, der oder die Depressive möge ihm sagen -oder zumindest zeigen- dass er grade nicht dazu in der Lage sei, dies oder jenes wie erwartet auszuführen. Eine Erwartung zu erfüllen.
Und die Bereitschaft, von sich aus nicht mit erhöhter Forderung oder Enttäuschung darauf zu reagieren.

Der tägliche Umgang mit Depressiven -oder anderweitig psychisch Erkrankten- verlangt vom Gesunden eine ähnliche Anpassung und ein vergleichbares Umdenken wie der mit körperlich Behinderten.

Wenn hier ein allgemeines Umdenken stattfinden würde, schrittweise aber kontinuierlich, dass sich nicht der depressiv beeinträchtigte Mitmensch an der Welt der "Vollbelastbaren" orientieren und nach ihr richten muss sondern umgekehrt die gesunden Mitmenschen sich auf seine Leistungsverminderung einstellen und mit ihr umgehen lernen, wäre schon ein entscheidender Schritt getan.

Leider steht dem ein nicht selten selbst für Gesunde kaum zu schaffender Forderungsdruck entgegen, der sie oft dazu verleitet, ihren Stress und Ärger auf defizitäre Kollegen, KlassenkameradInnen, Familienmitglieder abzuladen, was deren ohnehin labile Verfassung mehr und mehr verschlechtert.
In ihren Augen verkörpert er eine Bedrohung, weil in ihrem Unterbewusstsein die Angst haust, ihnen könnte es durch krankheitsbedingte Leistungsverminderung ebenso ergehen. Sprich sie müssten etwa um ihren Arbeitsplatz fürchten oder zumindest mit Lohnkürzung rechnen auf Grund von unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung.
Sicher nicht selten eine Ursache für Mobbing.

Erhöhte Sensibilität und die Bereitschaft des Entgegenkommens würden eigentlich vollauf genügen. Auf keinen Fall Mitleid, sondern Mitgefühl. Die grundsätzliche Einsicht und Zurkenntnisnahme, dass einem Depressiven ganz einfache und gewöhnliche Dinge unter Umständen gewaltige Mühe und Selbstüberwindung abverlangen, die dem Gesunden mit selbstverständlicher Leichtigkeit von der Hand gehen.

Kleine Schritte auf der Basis der Frage: Wie lerne ich mit einem Depressiven in meiner Umgebung umzugehen.
Der Stärkere muss dem Schwächeren entgegenkommen, und nicht nur -wie bisher- fast ausschließlich umgekehrt.
Es gibt derlei aufgeschlossene Zeitgenossen, und mit der Zahl der Depressiven wächst auch ihre Zahl. Sie sollten für die andern Vorbildcharakter einnehmen und nicht wie leider allzu oft Aussenseiterrollen.

Das fällt mir am Sonntagmorgen zu Deiner Frage ein.

Lieben Gruß
Sintram

Sintram

#4
Hallo Sali Para,

schon in Ordnung. Ich weiß um die Heibarkeit depressiver Episoden. Um die höhere Chance der Heilung bei Früherkennung usw. Und ich wünsche sie allen Betroffenen von ganzem Herzen. Unterstütze sie dabei wenn es irgendwie geht. Und kann es auch auf Grund reicher Erfahrung.
Meine Rückfallsquote ist lediglich die Frucht der Beobachtung langmonatiger Klinikaufenthalte, in deren Verlauf ich viele Gesichter zweimal zu sehen bekam. Ich habe keine statistischen Zahlen dazu genannt.
Und meine "bewegliche Masse" wurde am Rande bemerkt bereits elektomagnetisch stimuliert. Langfristig erfolglos.

Fern liegt es mir, Irgendjemandem die Hoffnung zu rauben oder zu mindern, noch mich mit einem Arzt auch nur vergleichen zu lassen. All das ist nichts als ein Missverständnis.

Wenn Du meinen letzten Eintrag im Tagebuch unter "Desperado" liest, verstehst Du mich vielleicht etwas besser.

Schönen Sonntag
Sintram

Paranoid_Android

#5
Dir auch einen schönen Sonntag.

Und nein kein Missverständnis, sondern genau wie  der Text bei mir rüber kommt.

Bei so was denke ich dann immer, hier sind vielleicht irgendwelche Menschen in einer depressiven Phase, die keinen weiteren Erklärungen oder TBs lesen und über Zufall in Erfahrung Klinik schauen. Für mich wäre das frustrierend, deine Erfahrungen zu lesen.

Ich bin kein Experte in Depression, aber bin auch kein Fan von Halbwissen, das verbreitet wird. Soweit ich weiss ist die endogene mittlerweile durch eine neue Klassifizierung ersetzt wurden und man glaubt, dass selbst hinter ihr irgendwo Trauma oder ähnliches liegen. Wenn dann alles nur endogen ist, das sagt ja schon das Wort nur aus dem Körper kommend also ein falscher Stoffwechsel des Gehirns, dann sollte es theoretisch einfach zu behandeln sein. Ich glaube insofern nicht, dass mich sich mit einem Namen einfach vor Natur aus gegeben verstecken kann. Gut dann kommen eben wieder die Kriterien die es  früher mal zu endogenen Deps gab, darunter zählen eben auch hypochondrische Wahnideen, z. B. nicht nur krank, sondern wahrscheinlich unheilbar krank zu sein. Aber das weißt du bestimmt alles.

Das was du sagst, die Bewegung der Masse elektromagnetisch klingt natürlich hart, ja es gibt den Prozentsatz der nicht zu heilen ist, aber denoch denke ich, man kann immer nur gesund werden, wenn man wenigstesn etwas daran glaubt (blöden Spruch für einen Depressiven, aber selbst du wirst bessere und schlechtere Phasen haben) und wenn es eben nicht heilbar ist, muss das Beste draus machen und nicht die Krankheit zu sehr thematisieren. Soweit meine Meinung dazu.


Sintram

#6
Salü Para,

Eigentlich hast Du mein Anliegen im letzten Satz sehr schön zur Sprache gebracht: Die unbedingt notwendige Thematisierung der Krankheit Depression in welcher Form auch immer. Gleichberechtigt und in fruchtbar hilfreichem Austausch.

Da ich nicht den Anspruch stelle, "Wissen" zu verbreiten, sondern persönliche Erfahrung, liegt mir auch nichts an Halbwissen. Das überlasse ich Spezialisten und Ärzten.
Nur so viel für Dich als Molekularbiologen:
Die Region im Hirnbereich hinter dem linken Ohr, die sich bei Depressionen nachgewiesenermaßen verändert, ist bei reaktiven oder vorübergehend rezidivierenden Depressionen mittels Elektromagnetismus "reaktivierbar."
Es gibt jedoch Fälle einer chronischen Lähmung dieser Hirnregion, die sich körperlich medizinisch -also endogen-
nicht behandeln lässt. Ob das nun angeboren oder die Folge frühkindlicher Traumata ist, sei dahingestellt. Fakt ist, dass es irreperabel ist.

Zum andern gibt es auch bei "Reizidivierenden" eine chronische Form, nämlich dann, wenn sich die chemischen Mechanismen, die einen Schub auslösen, verselbstständigt haben und immun sind gegen jede noch so verzweifelt vom Betroffenen ergriffene und eingeübte Gegenmaßnahme infolge zahlreicher Therapien.
Kurzum, er kann tun was er mag und all das Erlernte und Bewusstgewordene einsetzen und umsetzen mit all seiner Kraft und eisernem Willen, die Depression "überwältigt" ihn dennoch.

Mit mangelnder Heilungsbereitschaft des Patienten hat das nicht das Geringste zu tun. Ganz im Gegenteil. Er muss zu seiner Depression zusätzlich diese deprimierende Erfahrung verkraften, immer wieder und sehr oft, was ihm eine gehörige Portion mehr an Lebenswillen und Durchhaltevermögen abverlangt.
Diese Form lässt sich übrigens ebenso nur medikamentös in den Griff bekommen, oft lebenslänglich.

Alles was ich hier schreibe, sind Erfahrungsberichte. Im Lauf meines Lebens bin ich Depressiven mit den verschiedensten Ausprägungen begegnet, hatte mit ihnen engen Kontakt bis hin zur Freundschaft und habe zudem sehr interessante und lehrreiche Gespräche mit Psychhiatern geführt.
Es gibt keine generelle Depression, und die Tatsache der Unheilbarkeit ist für einen -wenn auch vergleichsweise geringen- Teil der Betroffenen eine Tatsache, mit der leben zu lernen und umzugehen sie genötigt sind.

Die Meinung, ihnen deshalb anzuraten, weniger oder garnicht über ihre Depression zu reden, erfüllt nicht nur den Tatbestand einer groben Verletzung der Redefreiheit, sondern kommt unter Umständen und je nach Verfassung der so "Gemaßregelten" einer Körperverletzung wenn nicht gar Totschlag gleich, da die suizidale Reaktion ständig zu berücksichtigen ist und nie ganz ausgeschlossen werden kann.

Wenn hier also Jemand zum Thema chronische Depression -in welcher Form auch immer und auf Grund welcher Ursachen auch immer- besser etwas zurückhaltender sein sollte mit seiner mitunter etwas polemischen Reaktion und verallgemeinernden Argumentation, bist es Du. Und Du hast einfach nur das Glück, dass es mir zur Zeit vergleichsweise gut geht.

Und es nicht akzeptieren kann, in einem Forum, wo selbst über Selbstmord gesprochen werden darf -eine rühmliche und fortschrittliche Entwicklung nebenbei- in Frage gestellt werde, nur weil im Laufe meiner Therapien deutlich wurde, dass meine Schübe lediglich eine Verschlimmerung der unentwegt und ständig vorhandenen Dauerdepression sind. Sprich Folge von mindestend Veranlagung wenn nicht gar Vererbung.

Du solltest schlicht akzeptieren, dass es das gibt und Dich klugerweise in dieser Thematik etwas mehr um Sachlichkeit bemühen und Zuhören üben um besser verstehen zu können.
Ist es nicht bedenklich und fragwürdig genug, wenn Du Depression als "normal" bezeichnest? Steckt da nicht vielmehr eine "anormale" Zeit und Gesellschaft als Verursacherin dahinter? Wäre doch immerhin denkbar.

Wie sagtest Du weiter oben so schön: "Wie man in den Wald hineinruft..."

Trotzdem nochmal und ausdrücklich einen schönen Sonntag!
Sintram

 


Sintram

Und bevor es zu etwaigen Missverständnissen oder -stimmungen kommt, noch ein kleiner Zusatz. Wie alles die Folge von Beobachtung.

Mein Hinweis auf Suizidgefahr hat weder etwas mit einer Ankündigung noch Drohung zu tun. Es ist vielmehr eine sachlich notwendige -meines Erachtens- Randbemerkung.
Ein Suizidgefährdeter bringt oft gerade noch mit letzter Kraft den Lebensimpuls auf, in ein Forum zu schreiben. Sehr oft eher neutral und verharmlosend. Wenn nun die erste Reaktion auf seinen Mitteilungsversuch ein "Sei still, red nicht soviel von Deiner Depression, tu lieber was," ist, kann das tatsächlich verhängnisvolle Folgen haben und ihm den letzten Schubs in Richtung seines Vorhabens verpassen.
Hier ist schlicht Vorsicht vonnöten.

Bedauerlicherweise gibt es auch Fälle von Freitodankündigungen, die im persönlichen Umfeld eine Absicht verfolgen und gezielt eingesetzt werden, um die Angehörigen unter Druck zu setzen. "Wenn du nicht dies und das tust, bring ich mich um."
Da die nahestehenden Mitmenschen nie wissen können, wie ernst es der Person mit ihrer Drohung ist und panische Angst davor haben, im Falle eines Falles mit dieser Gewissensnot weiterleben zu müssen, erreichen die Drohenden auf diese Weise mühelos ihr jeweiliges Ziel. Und setzen die Ankündigung mehr und mehr als Mittel äußerster Erpressung und tatsächlich mit Berechnung ein.

Wer mit einem solchen Menschen geschlagen ist -man kann es nicht anders nennen-  entwickelt mit der Zeit eine heftige und verständliche Aversion gegen alles, was mit Depression und Suizidabsicht zu tun hat. Schon allein um sich davor zu schützen.
In einem Forum etwa dürfte er fast verbissen nach Einträgen suchen, die ihn in irgendeiner Form an seinen oder ihren Quälgeist erinnern. Und es ist nicht allzu schwer, sich vorzustellen, dass er/sie jede Menge davon finden wird. Um dagegen anzurennen wie gegen Windmühlen.

Es ist legitim und sogar ratsam, den "Dauerankündigern" nicht allzu viel Beachtung zu schenken. Wer stetig davon spricht, bei dem ist die Gefahr es tatsächlich zu tun, eher gering. Oder gar nicht wirklich vorhanden.
Freitode geschehen in aller Stille, vielleicht angedeutet, meistens aber sogar durch zuversichtliche Äußerungen überdeckt und gut getarnt.

Wer die Drohung damit als Mittel zum Zweck einsetzt und bewusst zu seinem Vorteil missbraucht, den kann man getrost auch mal ignorieren. Selbst wenn er´s wirklich tut, hat das mit den Reaktionen seiner Mitmenschen wenig bis gar nichts zu tun.
Und so befreit sich der diesem "Dauerbeschuss" Ausgesetzte zudem von seiner defensiv misstrauischen Haltung aller Schwerdepressiven gegenüber.

Das nur vorweggenommen- zur Klärung.

Sintram

Denn andrerseits tun mir auch diese Menschen leid.

Die es für notwendig erachten, ständig mit Selbstmord zu drohen, um sich Zuwendung zu "ergaunern" und ihre Wünsche und Interessen durchzuzwingen.
Das kann sich auch steigern bis hin zu mehr oder weniger dilettantischen Suizidversuchen, um ihre Glaubwürdigkeit zu untermauern. Um ernst genommen zu werden, gehört und wahrgenommen.
Oder besser, um sich so zu fühlen, denn nicht selten dreht sich alles in ihrer Nähe um ihre stete Gefährdung. Nur können sie das nicht wahrnehmen, nicht glauben und nicht auf sich beziehen.

Was zwingt diese Menschen zu derlei drastischen Maßnahmen? Welche Verlustangst steckt dahinter? Wie viel an Eigenhass und Selbstverachtung? All das mag ich nicht zu beurteilen.
Es steht mir nicht zu, den Stab über sie zu brechen. Sie dafür zu verurteilen, was sie Partnern, Kindern, Eltern oder sonstigen Nahestehenden damit antun. Weil ich ihre Beweggründe nicht kenne. Ihre innere Gebrochenheit, die sie dazu nötigt.

Hab einfach zu viele vernarbte Handgelenke gesehen, zuviele geplatzte Blutgefäße im Gesicht, um dieses Drama mit ein paar geringschätzigen Bemerkungen abzutun.
Dauerdroher und Ankündiger sind für alle Beteiligten eine Plage, Zumutung und Überforderung. Niemand kann das lange aushalten und über sich ergehen lassen, ohne selbst daran zu zerbrechen.

Und dennoch sind es kranke Menschen, schwerkranke Menschen sogar. Die zwangsläufig in Einsamkeit enden, weil niemand mehr ihre Nähe ertragen kann, auch die größte Liebe an ihrem Leiden zerbrechen muss, weil sie sich unerwidert fühlt. Verraten und hintergangen. Zu tief und zu oft verletzt.

Es ist ein Elend.


kaktus

Vielen Dank für die Anwort!

Im Prinzip unterscheidet das was gesagt wurde sich nicht wesentlich von den Dingen, die auch in Ratgebern & Co für Angehörige stehen. Dass es sich bei dem Unterdrücken der Depressionsanzeichen jedoch um bewusstes Verschleiern handelt oder handeln kann war mir nicht so 100% bewusst.

Eure Diskussion finde ich übrigens sehr informativ. Aus den oben angeschnittenen Themen möchte ich mich jedoch zunächst raushalten. Da fehlt mir einerseits der fundierte Hintergrund andererseits habe ich bei dem zuletzt genannten Themenkomplex auch ehrlich gesagt Berührungsängste. Als ich das vorhin las dachte ich zunächst - vielleicht muss man sich als nicht Betroffener damit auseinandersetzen oder daran gewöhnen. Allerdings bin ich nicht sicher, ob mir das nicht doch etwas zu weit geht. Nun ja, das wird die Zeit und die Erfahrung zeigen...

Worauf ich allerdings gerne zurück kommen würde ist der eigentliche Titel dieses Threads - Rückfall. Ich habe vereinzelt schon gelesen, dass im Rahmen des Genesungsprozesses Rückfälle dazu gehören bzw. eine Therapie zunächst zu einer Verschlechterung des Zustandes führen kann bevor sie Wirkung zeigt.

Eure Meinung hierzu würde mich brennend interessieren.

LG

Sintram

Guten Morgen Kaktus

Das dachte ich mir gestern abend auch: Was hat das alles mit dem ursprünglichen Thema zu tun? Aber da´s nun schon mal angerissen war, wollte ich es einigermaßen brauchbar zu Ende bringen.

Das ist das Erschütternde, eigentlich kann man derlei Hilfen und Verhaltensstützen in jeder Broschüre finden. Leider machen sich noch viel zu Wenige die kleine Mühe, wenigstens mal was drüber zu lesen.

Rückfälle können natürlich verschiedene Ursachen haben. Auch ein falsches AD kann der Grund sein, das nach kurzer Zeit nicht mehr anspricht, eine zu geringe Dosierung oder Nebenwirkungen und Unverträglichkeit.
Die Tatsache, dass so gut wie kein Mensch gleich auf ein und daselbe AD reagiert und die langfristige Wirkung sich oft erst nach Wochen wenn nicht gar Monaten zeigt, macht die Einstellung oder Umstellung sogar zu einer sehr häufigen Rückfallursache.

Sehr oft aber ist es das persönliche Umfeld, dass den halbwegs Wiederhergestellten erneut in die Krise stürzt.
Wie schon angeschnitten, lernt der Depressive sich zu verstellen, seine Schwäche, Unzulänglichkeit, innere Qual so gut es eben geht vor den Mitmenschen zu verbergen.
Nicht selten durch übersteigerte Kompetenz, erhöhte Umgänglichkeit und fast übertriebene Heiterkeit. Niemand darf ihm in die Seele schauen.

Dieses Schutzverhalten ist aus Angst vor Ablehnung entstanden, die Ursache dafür sind tatsächliche schmerzliche Erfahrungen in diese Richtung. Der oder die Depressive will sich nicht mehr verletzen und weh tun lassen. Im Laufe dieser oft jahrelangen "Tarnung" gerät er mehr und mehr in innere Isolation. Zugleich wächst die Angst davor, sein wahres Selbst zu zeigen, mit jedem Tag, den er in diesem Zustand verbringen muss. Die Trutzburg wird zum Hungerturm.

Die vorhandene und wachsende Depression hingegen sucht Auswege in der Psychosomatik. Sie gibt der leidenden Psyche, die sich ihr Leid nicht zugesteht und erlaubt, Anlass es dennoch ausleben zu können. Irgendwann jedoch ist der Punkt erreicht, an dem die zunehmenden psychosomatischen Belastungen die Depression verstärken statt sie auszugleichen.
Zuletzt führt das Leben hinter Masken zum Identitätsverlust und zum Zusammenbruch.

All das muss in der Therapie aufgerollt und erkannt werden. Es gilt das innere Gefängnis zu verlassen und schrittweise in die Offensive zu gehen, das heißt eigene Bedürfnisse zu erkennen und anzumelden, das devote und nachgiebige Verhalten abzulegen und zu sich selbst zu stehen.
Dieser Prozess ist sehr mühsam und langwierig. Und stößt nicht selten auf erbitterten Widerstand.

Inzwischen hat sich die Umgebung an den umgänglichen und konfliktscheuen Menschen gewöhnt und ihrerseits das Verhalten auf ihn eingestellt. Es war der bequemste und einfachste Weg für sie, dieses Verhalten zu hinterfragen fehlte ihr Lust und Interesse. Alles schien bestens.

Der neu auftretende Mensch nun, der da fordert und streitet, um sein Weiterleben zu gewährleisten und nicht erneut ins Nichts zu versinken, ist fremd, unangenehm und lästig. Besonders bei Partnerschaften ist das oft zu beobachten. Der gesunde Teil hat sich gut eingerichtet in der verdrängten Krankheit seines Gegenübers.

Das Umdenken, die Suche nach einem Anteil an Mitschuld der Krankheit und die Neuorientierung fordern ihm sehr viel ab an Veränderung, und anfangs wehrt er sich -sogar verständlicherweise- dagegen und will den Partner "vor" der zu Tage getretenen Depression wiederhaben.
Für diesen aber wäre die Rückkehr in den vorherigen Zustand die Katastrophe. Der Garant für einen erneuten Zusammenbruch. Und es kommt zu erbitterten Konfrontationen oder totalem Rückzug einer oder beider Seiten.

Derlei ist im Familienumfeld, am Arbeitplatz, im Verein, der Partei oder sonstigem genau so der Fall.
Und für die ohnehin nur vorläufig und halbwegs stabilisierten Depressiven ist diese ablehnende und verunsicherte Reaktion ihres bisherigen Umfelds der schlüssige Beweis dafür, dass sie um ihrer Selbst Willen, also außerhalb ihrer Masken und Verstellungskunst, eben nun mal nicht liebenswert und zu ertragen sind.

Sie sehen also den Grund für ihr defensiv devotes Verhalten rundum bestätigt.

Dieses Gefühl des Verloren- und Unverstandenseins befördert sie wieder zurück in die "Verkapselung". Diesmal weniger aus einem Fluchtinstinkt heraus als vielmehr aus Resignation. Inzwischen aber ist dieser Kokkon kein Ort der Zuflucht und Sicherheit mehr, sondern der Hoffnungs- und Trostlosigkeit. Und über kurz oder lang stehen sie wieder an der Klinikpforte.

Außerdem werden in den Therapien bisher verdrängte und vergessene Traumata ans Tageslicht gebracht und gezerrt, die oft die Ursache der Depression bilden. Die Kranken müssen diese Erfahrungen erneut durchleben und -leiden, um ihnen bewusst begegnen zu können und sie auf lange Sicht zu überwinden.
Dieser Prozess führt zwangsläufig zu einer Verschlechterung und Verschlimmerung ihrer psychischen Verfassung, hat aber heilsame Folgen und ist unter therapeutisch Begleitung zu meistern.

Einen Rückfall schließt diese Konfrontation mit vergangenen Schrecken natürlich nicht aus. Bisweilen müssen die Kranken erneut durch die Hölle gehen, die sie in die Depression gejagt hat, und das kann nur im Rahmen stationärer Behandlung erfolgen und meist nur mit Hilfe entsprechender Medikamentation zum positiven Erfolg der Aufarbeitung umgeleitet werden.

So weit einige der -meiner Erfahrung nach- häufigsten Gründe für einen Rückfall.

LG
Sintram










Paranoid_Android

Sali

Erstens. Ich finde nicht, dass ich unsachlich war. Ich fühle mich da weder schuldig noch einen Grund an dem ich irgendetwas im Ansatz klar stellen muss.  Polemik sehe ich auch nicht, zur Diskussion gehören eben zwei Meinungen, zumal es gibt hier doch keine Lorbeeren zu gewinnen, sondern es sollte ein Ausstausch sein und da prallen gerade hier oft komplett verschiedene Weltansichten aufeinander.
Verallgemeinern, nunja in dem Wort ist ja auch die Meinung verkommend. Liese die aller Worten dieses Treads „Nur ein verschwindender Teil an Depressionen Erkrankter verlässt die Klinik „geheilt“." Das verstehe ich unter Verallgemeinern mit den 70% „Geheilten“ die nicht angesprochen werden.

Zweites: Ich habe auch nicht dazu geraten nicht darüber zu reden. Dem gegenüber sollte es auch freistehen, dass andere ihre Meinung äussern, wenn das nicht gewünscht ist kann wieder nur auf den TB Bereich verweisen. Ich hae wohl keinem Wort gesagt, dass Depressive schweigen sollen. Ich finde darin eben zwei Dinge essentiell und kritisch. 1.)Wenn sich alles nur noch um die Depression dreht und man viel zu viel Energie damit verbringt, sich mit ihr auseinander zu setzten. 2.)Ich bleibe dabei, dass man nicht immer nur fordern darf und nicht einfach einen Grossteil der Schuld auf das Umfeld abwälzen.

Drittens: Nein ich finde es nicht bedenklich das Depression als was Normales zu sehen. Krebs ist leider auch Normalität. In einem Normal-Szenario können allerdings schwer Betroffene als auf die angeblichen Gesunden besser damit umgehen.
Nach der Meinung einiger KOLs gehörrn depressive Phasen auch zum Menschsein, nur sind sein eben in verschieden Stärken ausgeprägt ist und treffen den einen leider stärker als den anderen. Ob sie mehr geworden kann wohl niemand sagen, da sich dazu zu viel Lebenstile und die Weltansicht  geändert hat.

Viertens:  Mit den Erfahrungen ist immer eine Sache nimm zehn Menschen man hat zehn verschieden Erfahrungen und keine davon ist universell. Meine Erfahrungen sehen eben komplett anderes aus.

Fünftens: Ich werde an dieser Stelle mit jeglichen Kommentaren stoppen, nicht weil da nicht viele sagen ist, aber ich beschäftige mich dann doch lieber mit anderem Dingen, zu viel das nur über Depression geht, ist mir dann selbst etwas zu depressiv. Ferner reden wir einfach einfach nur aneinander vorbei.

lg Para


Sintram

Hi Para,

geht in Ordnung. Wenn Du das so siehst- dann akzeptier ich Deinen Standpunkt.

Wenn ich zum Beispiel in einer Gruppe mit zwanzig Personen bei fünfzehn davon verblüffend ähnliche Geschichten und Erfahrungen höre, und das fünfmal hintereinander zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten, mach ich mir meine Gedanken drüber. Allgemeiner Natur.
Ich selbst halte das Wort "verallgemeinern" ohnehin für keinen Vorwurf. Wer tut das nicht? Jede Erfahrung ist persönlich und allgemein zugleich. Aber egal.

Ich kenne zum Beispiel nicht einen psychisch Kranken, der nach ein paar Wochen stationärer Behandlung nicht weiterhin therapeutisch oder medikamentös behandelt werden musste, ja eigentlich beginnt der richtige Heilungsprozess erst nach seiner Entlassung.
So eine Heilung funktioniert nicht von heute auf morgen, sie ist ein langwieriger Prozess und kann Monate ja Jahre dauern. Ein Klinikaufenthalt dient vor allem der akuten Symptombehandlung.
Mehr wollte ich gar nicht sagen.

Und ein wesentlicher Teil des Heilungsprozesses besteht aus Bewusstwerdung durch Mitteilung.
Wenn ich Dich da falsch verstanden habe- um so erfreulicher.

Aber da ich Dich "runterziehe", musst Du mir selbstverständlich aus dem Weg gehen. Weil ich das genau so wenig will wie Du. Das kann ich gut akzeptieren.

Viel Glück weiterhin- und die passenden Gesprächspartner.
Sintram




Paranoid_Android

Nachtrag, den kann ich mir nicht verkneifen: Der war gut. Es ist nahezu grotesk anzunehmen, dass du mich runter ziehst. „Das wird man noch depressiv“ war ironisch gemeint.

Ehrlich gesagt, Ich finde es einfach pure Zeitverschwendung so viel Zeit mit Gedanken um die Depression zu verbringen, das macht nichts besser. Zweitens gerade wenn man dann eine besser Phase, sollte man doch auch bessres zu tun haben. Drittens ist  für mich, das meiste was was du schreibst eher Wiederholungen, Variationen in sich selbst. In der es vor allem immer wieder um die böse Umwelt und das Nie-Wiedergeheilt werden geht. Nichts für mich. Aber jedem das, wenn das für dich eine Art Therapie ist, dann musst du das machen und solltest es. Ich wünsche dir das es hilft.

Lass mal gut sein, dir die Weisheit Alters, die Erfahrung, mir den Rest mit genügend passenden und unpassenden Gesprächspartner. Und jetzt muss ich wirklich stoppen, sonst bekomme ich einen schrecklichen Lachanfall.

Sintram

Dann werd mal schnellstmöglich wieder gesund, damit Du keine Zeit mehr damit verschwenden musst, in einem Depressionsforum über Depressionen zu sprechen- und hoffentlich Besseres zu tun hast.

Salü