Begraben

Begonnen von AHunter, 16 März 2013, 20:07:18

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AHunter

Begraben


Eines Nachts beging er wieder seinen Streifzug, wie so oft und so selten zuvor.
Aufgezehrt von der Finsternis, die ihn einst zu Grabe trug.
Aufgebrochen Sarg und Nagel, geöffnet nur die Hoffnungslosigkeit, die aus ihm
strebt, begibt er sich seinen Pfaden entlang, wie zu Lebzeiten, wie zu Sterbens-
altern. Hecken dornen sich um ihn, zu seinen Klauen begraben sich die Würmer
und Maden, er völlig entleert, von Gefühl und Gleichschlag.
Was war nur aus ihm geworden? Eine andere Wesensart, eine gleiche Wesensart.
Verkörpert nur das, was ihn am Sterben erhielt.
So greift er nun nur um sich, berührt die Scheibe vor sich. Lässt sie bitterlich ge-
frieren und teilt seine Gegenwart in dieser falschen Welt mit, jedem der dahin-
ter besteht, jedem der so verborgen für sich lebt.
Für wie lange noch? Für wie lange noch! Spricht es ihn an, will er zerschmettern,
was so atmet, auf der anderen Seite seiner Welt, da es unerträglich ist, diesem
Spiegel entgegenzublicken. In ihm nur die Verklärung zu erblicken, die sagt, stirb,
denn du hast nie gelebt.
Seine Lust, sein Wunsch, sein Traum, alles verstorben. Nur noch der Antrieb, nicht
einmal mehr ein Trieb, nur das absonderliche Wandeln hin zu allem, was ihn sehr
verletzen könnt, um seiner Macht ein Opfer darzulegen.
Legt so seine Hand gegen die kristallisierte Fensterscheibe und durchdringt sie
in ihrer eisigsten Mitte. Es splittert sich seinen Weg entgegen dem Leben darin, wie
seine Klauen hineinschnellen, er hinterher, stürzt durch das spiegelndglatte und
ersteht in unblutigen Leib wie aus keiner Menschlichkeit gepaart mit der Finsternis.
Eingehüllt sich selbst in Dunst und Dunkelheit bewegt sich einer seiner Arme ent-
gegen diesem Wesen vor sich, diesem Wesen um sich.
Vergreift sich an dem Pulsschlag und erzittert, als wäre die Gefahr erkannt.
In dieser kleinen Brust, in dieser kleinen Wesenhaftigkeit. Zwei Welten zerbrechen.
Sein gestocktes Blut reizt sich, das seines Opfers gefriert.
Wie nur, wie nur kann dies auch nur irgendeiner Seite gefällig sein?
Man vernimmt Wehen und stummes Schreien. Von ihm, aus sich gepresst, quer durch
seinen Leib, als das Leben ihn so ergreift, als das Leben ihn so verbrennt.
Zieht seine Hand von dem halbtoten Geschöpf. Verachtet sich, auf einmal. Seine
Handlung ein Monstrum, sein Begehr ein Ungetüm, sein gegenüber ein Mensch.
Unverstanden türmt er, bricht wieder durch das halbgeschlossene Fenster und wen-
det sich nur mehr seiner Ruhestätte, doch mit jedem Schritt schlägt es ihn nieder,
erhört dieses ergreifende in seiner Brust. Will es nicht, erträgt es nicht.
So umspielen seine spitzen Finger die Stelle und versuchen einzudringen durch das
rottsame Fleisch, vergreifen sich schmerzvoll an seinem nun tobenden Innersten.
Der Puls grellt auf und beseelt und wehrt sich mit aller Macht.
Will nicht wieder totgeschwiegen werden, noch erdrückt und zerrissen, und wie das
Herz seinen Drang nach eigener Ständigkeit verstärkt, wird er nur schwächer.
Lässt lockerer, lässt lose, lässt von sich ab. Schleift seinen nun so aufgelebten Körper
den Friedhofsweg entlang, hofft sich, glaubt sich zu retten.
Da, der Sarg! Keuchend ihm entgegengetragen, fällt er hinab, tief in das Loch, tief
in den Schatten seiner Zunft. Nur noch Ruhe verlangt, schliesst er die Augenlider.
Wird da warten, warten auf keine Zeit, auf Momente, in denen es wieder vergraut,
bis es wieder still und tot. Hoffentlich nie wieder. Wünscht sich, nie wieder zu gehen,
an dem zu vergehen, was da draussen auf ihn lauert, wie in ihm begraben.

Sintram

Abgründig und groß!

Du hast eine außergewöhnliche Begabung, AHunter.

Beeindruckte Grüße
Sintram

AHunter

Vielen Dank für deine bestärkenden Worte Sintram. :)
Lassen wir uns alle überraschen, was uns Sprache
noch erbringen mag.
Welchen Ausdruck sie finden wird, welche Umspielung
sie ergreift, welchen Klang sie erzeugen mag. =)

Nochmals vielen Dank,

AHunter