Wie geht´s weiter? Geht´s weiter..?

Begonnen von totti, 02 Oktober 2012, 14:39:18

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totti

Hallo zusammen,

ich bin bei früheren Recherchen schon einmal auf Euer Forum gestoßen, habe mich in meiner jetzigen Situation daran erinnert und mich registriert.

Tja, wo fange ich an?

Das Verrückte an meiner Situation ist, dass ich gar keine so schlimmen Erlebnisse in meinem Leben zu bieten habe, wie sie viele hier erleiden mussten (sexueller Mißbrauch, schwere Krankheiten, usw.). Dennoch trage ich seit meiner Pubertät tiefe Selbstzweifel, ja Selbsthass und -scham mit mir herum, was bisher auch zwei Psychotherapien nicht ändern konnten.

Ich halte es einfach nicht mit mir aus. Unter Menschen bin ich wie gelähmt, stehe neben mir, kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich fühle mich klein, schwach, armselig, lächerlich, wie ein kleines, ängstliches, unfähiges Kind. Ich kann einfach nicht bei mir sein, alles in mir sträubt sich gegen mich.

Die anderen Menschen erscheinen mir stark, erwachsen und allem gewachsen, ja beinahe, wie eine andere Spezies, deren Regeln ich nicht kenne und deren Sprache ich nicht spreche.

Nach langem Suchen und Recherchieren konnte ich dem Kind einen Namen geben... vieles in der Beschreibung spricht mir aus der Seele:

http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstunsicher-vermeidende_Pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rung

Die wenigen Freunde (oder besser Bekannte), die ich über die Jahre behalten habe, leben ihr Leben neben mir her; wenn ich manche 2-3 Mal im Jahr sehe, ist das viel. Das liegt natürlich auch daran, dass ich mich zurückgezogen habe. Allerdings wurde die Situation (dort die Bekannten inmitten ihrer Familie, langjähriger Freunde, Kinder, etc., hier ich quasi in zweiter Reihe) für mich immer unerträglicher. An leiblicher Familie ist mir soweit nur meine Mutter geblieben, Geschwister habe ich keine, mein Vater hat den Kontakt abgebrochen, mit meinem Onkel und Taufpaten hat er quasi nie bestanden. Mein ganzer Halt in einsamen und schweren Zeiten war immer der Gedanke, eines Tages meine eigene Familie zu gründen, es besser zu machen, mehr echte Liebe geben zu können, als ich sie erhalten habe.

Mein ganzer Halt und Lebensmut wurde meine Ehefrau, die mir seinerzeit wohl wirklich das Schicksal vorbeigeschickt hat und es ging mir in den letzten Jahren Stückchen für Stückchen besser, bis nach 4 Jahren des erfolglosen Versuchens die ärztliche Diagnose kam: Nachwuchs aus medizinischer Sicht ausgeschlossen.

Seitdem drehen sich die Gedanken nur noch um zerstörte Träume, Leben ohne Kinder, Einsamkeit, usw. Der Selbsthass ist in vollem Umfang wieder da, ich spüre, wie ich die Menschen um mich herum abstoße, wie sie mir gegenüber distanziert sind und sehe gleichzeitig, wie überall um mich herum echte Liebe gelebt wird. Ganz so wie das Klischeebild vom Obdachlosen, der an Weihnachten der glücklchen Familie durch´s Fenster zusieht.

Ich möchte den Menschen um uns herum kein unbeschwertes Leben andichten und ihnen ihre Probleme aberkennen. Aber die leben uns all das vor, was wir Tag für Tag mehr vermissen: Familie, Freunde, eigene Wurzeln, Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit.

Ich habe im vergangenen Jahr einen großen Schritt gemacht und mich in einem Verein angemeldet. Aufgrund der o.g. Probleme stehe ich jedoch auch dort immer noch vollkommen außen vor und schaffe es nicht, eine ehrliche Verbindung zu den Menschen aufzubauen...

Inzwischen kann ich einfach nicht mehr. Ich fühle mich ausgebrannt und machtlos, ich hasse es, jeden Morgen in meinem Leben aufzuwachen. Die Gedanken daran, allem ein Ende zu setzen, werden in letzter Zeit immer deutlicher. Ich ertappe mich dabei, in Gedanken Absätze eines Abschiedbriefes zu formulieren und ein möglichst "angenehmes" Ende zu ersinnen.

Sorry, falls ich etwas überhastet und wirr schreibe... ich habe nur gerade das Gefühl, es will einfach zu viel aus mir heraus. Deshalb beende ich mein erstes Posting hier und danke Euch für´s Lesen bis hierher. Vielleicht finde ich auf diesem Weg hier Menschen, die mich verstehen oder ähnlich fühlen? Vielleicht kann ich bei nächster Gelegenheit alles auch etwas ruhiger erklären.

Liebe Grüße

Totti

Deja

Hallo totti

das ist ja erstmal eine ganze Menge, die du hier mitgeteilt hast und das ist auch gut so. Ich kann mich nur Pudel anschließen, es ist wichtig, daß du dir professionelle Hilfe suchst, grad, wenn du dich schon mit solchen Gedanken quälen mußt. Selbst wenn du 2 Therapien gemacht hast, ist es vlt so, daß du noch nicht an dem Punkt bist, wo du für dich Erfolge gewinnen kannst. Ich zb hab 5J benötigt und einige Therapien, ehe ich jetzt endlich Fortschritte machen kann. Zuviel war verschüttet und mußte erstmal halbwegs erinnert werden.
Auch ich dachte, ich hab eine normale Kindheit gehabt, nix Weltbewegendes und hab mich lang dagegen gewehrt, anzuerkennen, daß es nicht so war.

Ich kann gut verstehen, wie du dich fühlst, wenn du Familien siehst, die all das leben, was du dir so sehr wünschst. Mir geht es da nicht anders, früher war es so schlimm, daß ich überhaupt keine Menschen mehr ertragen konnte.

Wie steht deine Frau zu dir? 

lg Deja

Fee

Hallo totti,


für heute lasse ich Dir erstmal ein herzliches Willkommen im Forum hier.


Sorry, bin gerade "etwas" schweigsam.

L.G. Fee

totti

Hallo und vielen Dank für Eure Antworten.

Tja, mit der Familie reden... das ist wohl der Punkt. Ich habe erst vor relativ kurzer Zeit, im Rahmen der 2. Therapie erkannt, wie tief hier das Problem sitzt (was ich die ersten 30 Jahre meines Lebens nicht oder kaum wahrgenommen habe).

Damit ich Euch nicht wieder vollquatsche (und dafür ist genug Material da!), versuche ich es mal zu umreissen. Es ging im Nachhinein betrachtet immer nur darum, zu funktionieren, es allen Recht zu machen, Erwartungen zu erfüllen. Meinen Großvater habe ich als sehr lieben, typischen Opa in Erinnerung, trotzdem war er gleichzeitig auch ein typischer Patriarch, dessen Meinung zählt und der bestimmt, wo es lang geht. Mein Vater muss daran früh zerbrochen sein und ich habe schon als Kind mehr oder weniger absichtlich seinen ganzen Frust abbekommen. Nicht durch Schläge oder Beschimpfungen, sondern durch das Gefühl, mich für mich selbst schämen zu müssen. Nicht ich selbst sein zu dürfen. So herrschte in unserer Familie in dieser Hinsicht immer eine angespannte Stimmung, der Frieden stand quasi auf gläsernen Füßen.

Mit meinem Vater habe ich heute keinen Kontakt mehr, mein Onkel (Bruder des Vaters) und Taufpate (...) hat mich schon als Kind mehr oder weniger ignoriert, hat mich spüren lassen, dass er nichts mit mir anfangen kann.

Meine Mutter war immer für mich da, hatte aber ihrerseits immer mit einer tiefsitzenden Angst und einer starken Zurückhaltung gegenüber anderen Menschen zu kämpfen. Sie hat mir vor wenigen Jahren erzählt, dass ihre Mutter regelmäßig von einer geistig verwirrten Mitbewohnerin mit dem Tode bedroht wurde, als sie mit ihr schwanger war. Dazu war sie Heimatvertriebene im 2. Weltkrieg... ich denke, man kann sich vorstellen, was da alles passiert sein kann.

Alles in allem also: Angst, Kontrolle, (gefühlte) Abhängigkeit, Unsicherheit, Frust und nur wenig Liebe.

Heute stehe ich jedenfalls da und bin mein größter Feind. Durch meine Ängstlichkeit schon als Kind wurde ich oft "stehengelassen", da man in manchen Situationen wohl einfach nichts mit mir anfangen konnte. In der Pubertät ging das um so stärker weiter (was sollen die Altergenossen, die die Welt erobern, tanzen gehen, Leute kennenlernen wollen schon mit einem anfangen, der immer nur steif und hilflos daneben steht...).

Gleichzeitig habe ich nie den genannten Familienzusammenhalt gespürt, den ich heute bei anderen wahrnehme. Dass jeder dort einfach sein darf, dass es auch mal kracht, aber dass unter´m Strich ehrlich und offen miteinander umgegangen wird.

Ich stehe momentan auf dem Punkt, dass ich in 20 Jahren abgesehen von meiner Frau komplett ohne Familie dastehen werde. Keine Geschwister, keine Kinder, keine Neffen, Cousins, etc.

Meine Frau steht zum Glück zu mir, mit ihr kann ich über vieles reden. Sie versteht mich, da wir zwar völlig unterschiedliche Lebensgeschichten haben, jedoch ähnliche Erlebnisse teilen. Das gibt mir einerseits eine riesige Stütze in meinem Leben, andererseits aber auch Angst, diese einzige Stütze zu verlieren.

Meine Therapie hat mir schon viel geholfen (auch wenn die sich verziehenden Wolken den Blick auf ein ziemliches Durcheinander freigeben...) und mein Therapeut ist wirklich sehr einfühlsam und hilfreich... trotzdem merke ich immer stärker, wie ich an meiner fehlenden Familie und der "verpassten Zwischenmenschlichkeit" im Leben scheitere.

Eigentlich verrückt, dass Milliarden von Menschen da draußen rumrennen, ich mich aber völlig abgeschnitten und einsam fühle......

Vielen Dank für´s Lesen!


Liebe Grüße

Totti

Torsten

Hallo Totti
Ich bin auch neu hier.Ich bin Torsten und habe ähnliche Probleme wie Du.Nur leider konnte ich früher auf Menschen zugehen und Sie kennen lernen.Heute stehe ich daneben und weis nicht was ich machen soll.Einen smaltalk bekomm ich grade noch so hin ,aber dann hört es auch auf.Vor drei Wochen hat sich meine Frau von mir getrennt.Unter anderem wegen dieser Probleme.Ich hab erkannt das ich die letzten zwei drei Jahre immer depressiver wurde.Die Arbeit ist mir immer schwerer gefallen,ich brauchte längere Ruhephasen,ich konnte nicht zu Feierlichkeiten,wenn dann nur kurz und ich wusste auch nicht worüber ich mich mit den Menschen unterhalten soll.So und jetzt ist es so, das ich garnicht mehr weiter weis.Diese leere,dieses verschwinden von Emotionen nicht mehr lachen sich nicht mehr freuen können auf irgentwas.Natürlich kommt jetzt auch noch die Trauer um die gescheiterte Ehe hinzu und ich fühle mich erst recht als Versager.Und weis auch nicht wie es weiter geht.Ich hab eigentlich keine lust mehr auf leben.Ich kann mir nicht vorstellen das ich jemals wieder sowas wie Glück empfinden kann.Ich fühle total mich ausgelaugt,und ausgebrannt.Mein Herz ist gebrochen,und jeder Tag ist eine Qual für mich.Das Selbstwertgefühl gibt es garnicht mehr.Ich weis nicht mehr weiter....
Ich wollte Dir das nur schreiben, damit Du siehst das Du nicht alleine bist.

totti

Hallo Torsten,

danke für Deinen Post... bedrückt mich sehr, Deine Geschichte zu lesen. Tut mir sehr leid...

Ist denn etwas Einschneidendes passiert, was Dich so verändert hat? Oder kam es "schleichend"? Wie lange wart Ihr verheiratet? Hast Du Kinder / Familie?

Was Du da beschreibst (immer längere Ruhepausen, keine Lust / Fähigkeit für soziale Kontakte, usw.) kann ich sehr gut nachfühlen und ich versuche, daran zu arbeiten. Dadurch, dass ich nur sehr wenige Menschen eng um mich herum habe (meine Frau und meine Mutter), hauen mich Rückschläge dann doppelt um. Wie ist das bei Dir?


Liebe Grüße

Totti

imepenem

Hy Totti, Torsten,

ja, das sind mir sehr vertraute Gefühle. Totti, gerade dieser Selbsthass, dieses sich abends im Spiegel sehen, voller Abscheu und sich immer wieder sagen zu hören, was für ein Versager man ist. Eben das kommt aus der Kindheit, hatte auch einen sehr autoritären Adoptivvater (12 Jahre Bundeswehr), der mir bei jeder Gelegenheit zu verstehen gab, wie überflüssig und unfähig ich doch bin. Wurde zusammen mit meinem Bruder adoptiert. Manchmal denke ich, nur als Ballast, weil es uns beide nur im Doppelpack gab.
Das zog sich bis dato durch mein ganzes Leben. Das ist ein echtes Dilemma. Ich kann nur sehr schlecht allein klar kommen, sehne mich nach Bestätigung und Freunden, verwehre mir diese aber selber durch mein unbeholfenes Verhalten und meine Angst vorm Versagen. Und auch ich sehe die Menschen in meiner Umgebung viel grösser, viel erfolgreicher, schlauer etc.
Auch ich war verheiratet (14 J), bis meine Frau das nicht mehr ausgehalten hat und mit jemand anderem eine neue Beziehung eingegangen ist.

Du siehst, ganz ähnliche Geschichten. Und wie immer hat der Pudel recht, hol Dir Hilfe, und zwar vom Fachmann. Siehste, spucke grosse Töne und kann mir nicht einmal selber helfen.

Vielleicht bekommst Du das ja besser hin, versuche es auf jeden Fall.

Dafür viel Kraft, denn die wirst Du brauchen...

...Streuner