Karen - Zeit der Begegnung

Begonnen von Epines, 16 November 2010, 00:58:18

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Epines

Wie soll ich beginnen von Karen zu erzählen, ohne dass mein Herz zu bluten beginnt und meine Tränen auf die Tastatur tropfen?

Wir begegneten uns im Februar 2005 in einem verwaisten Borderlineforum, dass ich irgendwie versuchte am Leben zu erhalten. Da ich nicht 24 Stunden anwesend sein konnte schrieb ich jeweils allen Interessiertem ein Mail, wann am ehesten was los ist. So auch Karen, die sich "Succubus" nannte. Wir verabredeten uns, aber sie erschien nicht und ich dachte, dass sie wohl keine Lust gehabt hätte. Am nächsten Tag war jedoch ein Mail von ihr da, wo sie mich um ein Treffen bat. Einmal versetzt antwortete ich unlustig, worauf sie mir schrieb, wie dringend sie jemanden zum Reden, oder Chaten brauchen und das sie mich bestimmt nicht noch einmal versetzen würde. In ihrem Profil gab sie an sich für Technik zu interessieren und dies war nun überhaupt nicht mein Ding und so willigte ich nur ein, weil sie mich so eindringlich gebeten hatte.

So begann eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen einem total verrückten Punk der in einer lärmigen Stadt wohnte und einem arbeitswütigen Landei, dass in einem 200 Seelendorf weit ab vom wirklichen Zeitgeschehen lebte.

Es war wie Liebe auf den ersten Blick, und wir fingen an uns mehrmals in der Woche seitenlange Mails zu schreiben. Wir erzählten uns einfach alles und uns wurde schnell klar, wie besonders diese Freundschaft war, niemals hatte ich mich jemandem so verbunden gefühlt und ihr ging es genauso. Zuvor hatte ich immer alle belächelt, die mir von einer besten Freundin erzählten und nun war ich so unglaublich überwältigt so etwas wirklich selber zu erleben.

Der Schatten schwebte jedoch von Anfang an über unseren Köpfen und uns Beiden war von vornherein klar, dass es nur eine Freundschaft auf Zeit werden würde, denn Karen hatte keine Kraft mehr zum Leben, obwohl sie entschlossen war alles zu versuchen.

Karen's Kleidung bestand  aus einer schwarzen Jogginghose, einem schwarzen Ärmellosen T-Shirt mit der Aufschrift "suizidal" und einem schwarzen Kapuzenshirt, dazu Springerstiefel natürlich auch in schwarz. Sie war an mehreren Stellen am Arm und über die Schulten mit wunderschönen selbst entworfenen Bildern tätowiert und liebte es in dem Hochhaus in dem sie wohnte, im Dunkeln zum Lift zu schleichen, in der Hoffnung jemanden zu schockieren.

Sie war Alkoholikerin  und litt am Borderline-Syndrom und Sozialphobie. Zu Beginn unserer Freundschaft trank sie noch jeden Tag 10 Flaschen Bier. Pünktlich begann sie damit  täglich um 17.Uhr. Die körperlichen Beschwerden machten ihr immer mehr zu schaffen, zudem ass sie kaum mehr was und wog nur gerade 48 Kilogramm.
Sie wohnte 2 Autostunden von mir entfernt und so begannen wir uns ab und zu treffen und sie kam auch ein paar Tage aufs Land.

Eigentlich wollte sie weiterleben, aber nicht mit dem Zwang trinken zu müssen. Sie war bereits bei der Fachberatungsstelle für Alkohol in Therapie, des weiteren hatte sie auch noch Therapie in der Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen, bei einer Psychiaterin, die auf Trauma spezialisiert war und noch bei einer privaten Psychologin. Sie , die eigentlich an Sozialphobie litt und für die es nichts Schlimmeres gab, als raus zugehen, zwang sich praktisch jeden Tag in eine Therapiestunde, die zudem noch durch die belebte Fußgängerzone führten.
Also hörte sie auf zu trinken, ihr Fernseher ging zeitgleich kaputt und sie wollte keinen mehr, um nicht wieder in die gleichen Muster zu verfallen, also glotzen und saufen. Stattdessen versorgte ich sie mit Kisten voller Bücher, fast jeden zweiten Tag war eines beendet. Und sie schaffte es aufzuhören und war unglaublich stolz auf sich.

Die Zeit verging (1 Jahr) und sie hatte kaum Rückfälle, da passierte es, sie verliebte sich in ihre Alkoholtherapeutin und zwar so wie nur Borderliner lieben können, mit jeder Faser ihres Herzens und fanatisch ohnegleichen. Sie fand alles wissenswerte über sie heraus was es zu wissen gab.

Obwohl ihr klar war, dass sie keine Chance bei ihr haben würde verstrickte sie sich emotional immer tiefer. Die Situation spitzte sich dramatisch zu und eines Tages gestand sie der Therapeutin was sie für sie empfand. Karen war ihre erster Borderlinerin und sie war frisch ab Uni. Es mag an ihrer Unerfahrenheit gelegen haben, dass sie sich nicht sofort distanziert hatte, im Gegenteil, es schien ihr zu schmeicheln, dass Karen in sie verliebt war, was diese wiederum als eventuelle Zusage deutete, obwohl ihr rational völlig klar war, dass es da nie was geben würde.

In dieser Zeit drängten die  Erinnerungen an längst vergangene Kinderzeiten ans Tageslicht und sie konnte nur noch mit Schlafmittel schlafen und brauchte  am Tag immer öfter ein Demesta. Bei ihrer Traumatherapeutin war jedoch gerade was Karen am dringendsten besprechen, resp. loswerden wollte, ein absolutes Tabu, erst sollte sie stabilisiert werden, bevor man das Trauma angehen sollte. Also wurde Karin immer enttäuschter von ihrer Psychiaterin, sie schrieb ihr deshalb ab und zu ein sms und sparte auch nicht mit Mails. Dies gipfelte dann in Form einer Arztrechnung von 4'500 Euro, die sie zu bezahlen hatte. Um es richtig zu verstehen, es handelte sich um 4 mal 50 Minuten Therapie im Monat und einige Mails und sms. Auf der Rechnung war jedes sms von Karen an die Ärztin mit 35 Euro und ihre Antworten darauf mit dem selben Betrag verrechnet worden.

Karen kam sich zu Recht vor wie eine Weihnachtsgans und obwohl  die Krankenkasse  alles zu bezahlen hatte, war sie damit zu Recht nicht einverstanden.
Nach diesem Zwischenfall verlor sie das Vertrauen in die Ärztin gänzlich und ging nur noch widerwillig hin.

Sie war Rentenbezügerin, nachdem sie durch einen Überfall von zwei Männern retraumatisiert wurde und dadurch  nicht mehr in der Lage war zu arbeiten. Durch diesen Zwischenfall brach sie öfters zusammen und wurde nach Alkohol abstürzen in die Psychiatrie verbracht, wo sie monatelang am Bett fixiert, erneut stark traumatisiert wurde, dies geschah jedoch 2 Jahre bevor wir uns begegneten.
Ich erwähne es jedoch, weil sie sich nie getraut hatte ihren dominanten Eltern zu sagen, dass sie nicht mehr im Theater als Beleuchtungstechnikerin arbeitet.
Sie litt folglich unter permanentem Geldmangel,  weil Schwester und Eltern Geschenke oder Restaurants-besuche erwarteten.

Eine eigene Wohnung hatte sie nur, weil sie in Abwesenheit ihrer Eltern heimlich ausgezogen war, diese hätten ihr nämlich nie erlaubt auszuziehen!

Jedes Wochenende war Pflicht, dass Karen bei ihren Eltern zum Mittagessen erschien, was sehr schwierig für sie war, denn dies hieß auch ihrem Vater, der sie jahrelang missbraucht hatte, immer wieder in die Augen zu sehen...

Die Mutter manipulierte und erpresste sie in einem Ausmaß, dass Karen resignierte.  Sie wurde immerzu über alles ausgefragt, wenn sie z.B. nicht zum Essen erschien, also krank war, kam die Mutter vorbei um nachzusehen ob es stimmte.

Epines

Die Situation wurde immer unerträglicher und Karen kämpfte in einem unglaublichen Ausmaß gegen ihren Wunsch nach ewiger Ruhe an.

Ausgerechnet ihre  Liebe zur Alkoholtherapeutin,  ließ sie wieder abstürzen. Seit Monaten ging dieses Liebesgeplänkel nun in der Therapie hin und her. Karen schickte ihr sogar Blumen und sie trug, nach Karen's Aussage viel aufreizendere Kleidung als früher :-).

Eines Nachts gegen Mitternacht rief sie mich an, sie war völlig verzweifelt und betrunken und hatte Angst sich auf dem Balkon zu erhängen, wenn sie weiter soff, den Strick hatte sie schon geknüpft. Ich raste also wie eine Verrückte nach Zürich und fand sie splitternackt auf dem Balkon.

Sie sah mir tief in die Augen und sagte, weißt du, ich will mich zu Tode hungern und ich will mich tot saufen...

Sie war so unendlich traurig und müde, dass wie beide lange weinen mussten. Irgendwann schlief sie dann in meinen Armen ein. Ich wusste, dass sie tagelang wieder nichts gegessen hatte. Sie war so dünn...

Am nächsten Morgen standen wir auf und fuhren rauf in die Berge, mit dem Sessellift. Es war Ende September und der Schnee hatte die Gipfel ganz oben schon sanft geküsst. Die Luft war klar und es war ein sonniger und wunderschöner Herbsttag...

Während der Fahrt sagte sie mir, wo sie ihre Asche verstreut haben wollte, später stellte ich fest, dass ich dies gänzlich verdrängt habe, bis heute weiss ich nicht mehr wo.

Wir sprachen oft darüber, dass derjenige der von uns zuerst stirbt, sich mit einem Licht bemerkbar machen soll und zwar so, dass es kein Zufall sein , oder nicht erklärt werden kann.

Als wir uns verabschiedeten wussten wir beide, dass wir uns wohl nie mehr wieder  sehen würden, aber wir taten so als ob...mein Herz war schwer voller falscher Hoffnung und voller Schmerz.

Ihr werdet nun sagen, dass sie in eine Klinik gehört hätte, aber glaubt nicht, dass ich nicht alles versucht habe sie dazu zu bewegen und auch ihre Ärztin musste ihr versprechen, sie nicht einweisen zu lassen.

Es schien ihr  ein wenig besser zu gehen, sie war wieder abstinent. Um ihre unerfüllte Sehnsucht nach der Alkthera zu mildern, schrieb sie einigen Frauen in einem Lesbenmagazin. Sie kam richtig in Stress, denn ganz viele wollten sie treffen, plötzlich war jeden Tag etwas los, auch ihre Mails wurden kürzer. Besonders eine hatte es ihr angetan, wirklich verliebt war sie nicht, aber sie willigte ein Michi zu treffen.

Die schrecklichste Woche meines Lebens sollte beginnen.  Ich war einen Monat in Norddeutschland, also 1000 km entfernt.

Es war der 17. November . Am Samstag nahm Karen in der Beratungsstelle an einer Studie teil. Im Anschluss deutete ihre Alkoholtherapeutin an, dass sie die Therapie beenden wolle, da es Karen jetzt ja so gut gehe! Im Nachhinein völlig unverständlich, den Karen war noch weit entfernt von gut...

Diese Aussage hat Karen in eine verheerende Krise gestürzt.

Am Montag war ihr 34 Geburtstag und da fing sie an wieder zu trinken.

Am Dienstag war sie in der Therapie und obwohl die Therapeutin versicherte, dass die Therapie nicht sofort aufhören würde, konnte sie es nicht glauben.

Am Mittwoch sollte das besagte Treffen mit Michi der Frau aus dem Lesbenmagazin sein.
Karen hat sich den Kopf kahl geschoren und Michi voll besoffen am Bahnhof abgeholt.

Am Donnerstag fuhr Michi heim , sie war natürlich total schockiert und konnte nicht fassen einen ganz anderen Menschen angetroffen zu haben, als den, mit dem sie zuvor stundenlang via Internet Kontakt hatte  und Karen fing an klaren Schnaps zu trinken. Sie wiederum war von Michi enttäuscht, dass diese sie auf ihre Haare reduzierte.
Am Samstag sollte sie Schwester und Eltern ins Restaurant einladen, aber sie hatte kein Geld mehr. Ich bot ihr an sofort welches zu schicken, aber sie wollte es auf keinen Fall.
Nach einigen SMS hin und her ließ sie es zu, dass ich sie um Donnerstag gegen Mitternacht anrief.

Sie war erstaunlich klar, ich hatte den Eindruck, dass sie kaum besoffen war.

Wir hatten ein herzzerreißendes Gespräch, indem ich sie immer wieder versuchte umzustimmen, aber wir wussten beide, dass sie es tun würde. Ich musste ihr versprechen nicht die Polizei zu rufen, sonst würde sie sofort vom Balkon springen. Ich kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie es ernst meinte.

Unter Tränen haben wir uns verabschiedet und wir bedankten uns für die einmalige und wunderbare Zeit die wir zusammen erlebt hatten.  Wir sprachen auch noch einmal über das Licht, mit dem sie mich heimsuchen würde, ich konnte nicht mit Weinen aufhören.
Dann hörte ich wie sie auf den Balkon ging und auf den Stuhl stieg, sie sagte ein letztes "tschau , danke,  ich liebe dich" und hängte auf...

Ich saß im Dunkeln und weinte, dann  sah ich uns im Wald, wo wir so oft zusammen waren , wie wir uns an den Händen fassten und  uns immer schneller und schneller im Kreis drehten und lachten. Sie war mit den Füßen schon nicht mehr am Boden. Sie sagte:" Lass mich los" ich drehte noch ein paar Runden und  ließ sie dann los und sie flog wie ein Ballon immer höher und höher und ich hörte und sah wie sie lachte und meinen Namen rief  und immer wieder  sagte :" mir geht es gut", sei nicht traurig...da fühlte ich mich unendlich erleichtert.

Natürlich rief ich sie noch die ganze Nacht hin durch immer wieder an, aber das Telefon war ausgeschaltet...

Am nächsten Morgen rief ich die Ärztin an und sie bestätigte dann,  was ich eh schon wusste.

Karen hatte wohl uns beiden nicht getraut, denn sie hatte kompliziert ein langes Seil so verknüpft mit Türe und Möbeln, dass die Polizei 20 Minuten gebraucht hatte, um die Türe auf zu bekommen, wie sie sagte, wäre sie ganz sicher gesprungen.

Wir hatten zwei wunderschöne Jahre der Freundschaft die sehr wertvoll und unvergesslich für mich sind, wir haben viel zusammen gelacht, diese 2 Jahre hatte sie mir geschenkt, denn eigentlich war sie schon tot als ich sie kennen lernte.

Der größte Schmerz ist wohl die Erkenntnis nie wieder im Leben eine solche Freundin wie sie zu haben...

Ich habe mich lange gefragt, ob ich das Recht hatte , durch meinen Egoismus ihr Leiden um 2 Jahre zu verlängern...

Sie fehlt mir unglaublich, es ist als wäre damals auch ein Teil vom mir gestorben.


Epines

Also wartete ich auf das vereinbarte Licht, nichts geschah. Dann dachte ich, vielleicht ist es ihr nicht möglich sich bemerkbar zu machen, oder es ist wirklich Schluss und man ist zu Staub geworden und nichts bleibt mehr übrig.

Irgendwie war ich enttäuscht, dass es so endgültig sein soll.

Ich zweifelte an einem Leben nach dem Tode, wie wohl schon oft in meinem Leben. Immer wieder hatte ich Phasen, wo ich dachte , dass da was sein muss nachher.

Oft hatten Karen und ich darüber gesprochen und deshalb hatten wir ja diese Vereinbarung getroffen,  in der Hoffnung zu erfahren, ob es was gibt.

Na ja, die Tage vergingen und eines Abends, 11 Tage nach Karens Tod, ich war bei einem Freund, saßen wir bei Kerzenschein in seinem Wohnzimmer und redeten wie jeden Tag zuvor über Karen.

Da ging plötzlich seine kleine Lampe auf dem Tisch an!

Wir sahen uns an und er sagte:" Hey, die Lampe ist NICHT am Strom angeschlossen"... und es war tatsächlich so, wir konnten sie auch nicht ausschalten.

Wir versuchten es immer wieder, aber unmöglich, erst nach einigen Minuten ging sie ab und liess sich nicht mehr einschalten, denn wie gesagt, sie war nicht am Strom angeschlossen.

Ich weiss nun nicht was ihr daraus macht, aber ich glaube im  Moment wieder einmal an ein Leben nach dem Tode.

Zu Hause ging lange Zeit immer wieder einmal der Dampfabzug an und zwar auf der höchsten Stufe und auch das Licht konnte ich einmal nicht abschalten. Karen's Schwester erzählte mir zudem, dass Karen's Taschenlampe einmal an war. Na ja... wenn jetzt was angeht was nicht sollte, sagen schon alle die die Geschichte kennen: " Hey Karin, hallo" :-)

Auf jeden Fall hatte ich lange das Gefühl , dass sie um mich ist, auch heute noch ab und zu.
Sie hatte mir in den 2 Jahren in denen wir uns kannten über 2000 Briefe geschrieben und ich zurück.

Es war unglaublich schön, Liebe als das Gefühl wahrzunehmen was allgemein beschrieben wird, auch wenn wir nie zusammen geschlafen haben :-)


Sintram

#3
Hallo Epines,

was Du in drei recht kunstvoll ausgeführten Kapiteln beschrieben hast, ist das klassische Beispiel für einen von langer Hand geplanten und wohldurchdacht inszenierten Freitod.
Insbesondere Frauen neigen zu dieser Form der Verabschiedung, Männer mehr dazu, sich völlig zurückzuziehen.

Als Du sie kennenlerntest war ihr Entschluss schon gefasst und die Entscheidung bereits gefallen.
Alles was sie suchte war ein Zeuge und Vertrauter, ein Freund und Seelsorger, ja kurz und bündig ein Sterbebegleiter.
Ein Mensch, der ihr nahe kommt und dem sie sich offenbart wie vermutlich nie Jemandem zuvor, ohne dass sie mit ihm in ein verbindliches Verhältnis tritt.

Dieser Mensch warst Du.

Sie erzählte Dir zum Beispiel von ihrer hoffnungslosen Verliebtheit zu ihrer Therapeutin.
Ein typisches Hilfsmittel, um die Kraft zur Selbsttötung zu finden, ist eine von Anfang an hoffnungslose Liebe, deren Nichterfüllung einem die nötige letzte Entschlossenheit verleiht.
Todessehnsüchtige suchen sich sozusagen ihren Todesengel.
Ob und wie dieser nun darauf reagiert ist zweitrangig, wichtig ist ihre verzweifelte Liebe zu ihm.

Ebenso deuten ihre scheinbare Besserung und Abstinenz eindeutig in diese Richtung.
Nicht selten umflort die Selbstgefährdeten unmittelbar vor der Ausführung ihrer Tat eine seltsame Heiterkeit und Klarheit, innere Leichtigkeit und Zuversicht.
Die Entscheidung ist definitiv, ein Zurück gibt es nicht mehr, das birgt eine ungeheuer befreiende Dimension in sich.

Schließlich wurdest Du noch dazu erkoren, ihre letzten Stunden telefonisch zu begleiten.
Ob und wieviel davon ein letzter tief verborgener Hilfeschrei gewesen ist, sei dahingestellt. Jedenfalls ist das Versprechen einer Selbst"mörderin" gegenüber unverbindlich und nicht zu beachten.
Du hättest ruhig die Polizei informieren dürfen- nein eigentlich müssen- egal ob Du ihr auf diese Weise den Suizid "vereitelt" hättest oder ihn beschleunigt.

Aber nun, in Extremsituationen ist man oft nicht in der Lage, notwendig Richtiges von Erwünschtem zu unterscheiden, und es hätte wohl auch nichts an ihrer Tat geändert. Jedenfalls nicht auf Dauer.
Es gibt aber auch erwählte "Sterbebegleiter", die lange unter ihrer Erwählung zu leiden haben und diese regelrecht als Missbrauch empfinden.
Da hattest Du ganz offenbar Glück und genug Fähigkeit zum Selbstschutz.

Was die Sache mit dem Licht anbelangt, habe ich schon viel zuviele ähnliche Geschichten gehört, um es als Mummenschanz abzutun oder in der Bereich der Autosuggestion zu verbannen.
Tatsache ist, dass Karen auch nach ihrem Tod noch mächtig "unter Strom" stand.

Da wäre noch viel Licht und Wärme übrig gewesen, das sie im Leben verbreiten hätte können, nur leider war es dazu zu spät. Unwiderruflich zu spät.

Und das ist immer das Tieftraurige an einem Freitod. Es bleibt soviel Unvollendetes zurück.

Lieben Gruß
Sintram





Epines

#4
Hallo Sintram

Herzlichen Dank für deinen Beitrag, du hast in allem Recht, genau so sehe ich es auch.
Auch uns beiden war von Anfang an klar, dass sie eines Tages freiwillig aus dem Leben scheiden würde.
Wenn sie nicht so einmalig liebenswürdig und besonders herzlich gewesen wäre, hätte ich mich auch niemals emotional auf sie eingelassen, wissend um den Schmerz der mich erwartete.
Uns beiden hat die Zeit gut getan, es war niemals nur einseitig.

Seit damals sehe ich vieles anders und lebe wesentlich intensiver.

Auch um dieses letzte Telefonat bin ich sehr dankbar, es wäre sehr viel schwerer für mich gewesen, wenn sie einfach klanglos aus meinem Leben verschwunden wäre. Wir waren von Anfang an offen zueinander und haben uns auch bis zum Schluss so verhalten.

Sie daran zu hindern wäre, wie du sagtest nur ein Aufschieben gewesen und dazu hatte ich nicht das Recht.

Nun ja, es ist jetzt drei Jahre her, aber es kommt mir vor wie gestern, nur der Schmerz ist weniger geworden, ob sie wohl noch irgendwo da oben ist und lächelt?

Alles Liebe dir
Epines

Sintram

Hallo Epines,

man traut es sich ja gar nicht laut zu sagen:
Der mächtige Lebensimpuls, den ein Freitod haben kann.

Dabei ist es doch das Allerbeste was man machen kann angesichts eines scheinbar sinnlosen Todes, ihm für sein eigenes Leben Sinn abzugewinnen.
Dann war er nämlich schon allein deshalb nicht umsonst.

Dem Suizid eine Stimme geben.
Eine Botschaft an alle Lebenden, wer außer den Hinterbliebenen sollte das tun?

Dir auch Alles Liebe
Sintram

Epines

Ja wer außer uns Hinterbliebenen sollte es tun...

Ich denke mal es fehlt in unserer,  stark an religiöse Dogmen gebundenen Gesellschaft, immer noch die Akzeptanz,  den Willen nach dieser letzten freien Entscheidung vollumfänglich zu akzeptieren.

Mich hat es sehr erleichtert mit Karen über ihre Entscheidung zu sprechen, natürlich hätte ich gewollt, dass sie weiterlebt, aber habe ich das Recht für sie zu entscheiden, was gut für sie ist? Ich meine sie war erwachsen.
Bei Kindern und Jugendlichen sehe ich es anders.
Sie aber hatte jede nur erdenkliche Hilfestellung und trotzdem konnte sie sich nicht von ihrer Last befreien.

Na ja...heute ist ihr Geburtstag, sie wäre nun 37, so alt hätte sie nie werden wollen :-)

Gruss
Epines

Sintram

Guten Morgen Epines,

http://www.nur-ruhe.de/cgi-bin/yabb2/YaBB.pl?num=1279181925

LG
Sintram

Epines


,,34 Jahre sind lange  genug"

Wenn man dies aus dem Blickwinkel einer Person betrachtet, deren Leben aus Schmerz, Scham, Trauer und Alkohol besteht und die  als erwachsener Mensch nicht die Kraft hat, sich aus den emotionalen stark toxischen  Fängen manipulierender und missbrauchender Eltern zu lösen, dann muss man verstehen, dass 34 Jahre wirklich genug sind.

Ja Karen, ich habe es genau verstanden, aber du fehlst mir trotzdem so wahnsinnig!

4 Jahre ist es her seit du himmelwärts flogst und  wir uns solange im Kreis drehten, bis ich deine warmen, lebendigen Hände los lassen musste und du mir von oben zugerufen hast, dass es dir gut geht, dass du es so wolltest und  dass ich nicht traurig sein soll.

Noch immer fühle ich deine Nähe ganz stark und ich bin trotzdem traurig, wenn ich an dich denke und ich bin es oft.

Sehr schwer fällt es mir, wenn  ich die besonders atemberaubenden Momente sehe, die mir die Natur schenkt und mein Herz so voller Freude ist, dann denke ich oft wie schade, dass Karen dies nicht mehr sehen kann und die Trauer über deinen Verlust überfällt mich wie ein dunkler Schatten.

Die Gewissheit, dass dies dein Wille, dein Weg war den du gehen wolltest, hilft mir leider nicht dabei dich zu vergessen.

Dich vergessen... als ob ich dies je könnte...

Ich frage mich, ob du weißt, dass damals ein Teil von mir mit dir gestorben ist?
Jene besondere vertraute Nähe die wir hatten, die nur uns gehörte, die uns so innig verband. Ich frage mich oft,  ob ich wohl je wieder mit jemandem eine solche Vertrautheit haben werde und die Gewissheit, dass dies vermutlich einmalig war, schmerzt mich zusätzlich, macht deinen Verlust um einiges deutlicher.

Wir wussten beide von Anfang an, dass unsere Freundschaft ein wertvolles Geschenk war, das uns nur für eine kurze Zeit gewährt wird, aber diese war so intensiv und wunderschön, dass sie ewig hätte so weiter gehen können.

Der November war früher schon mein schlimmster Monat und nun wird er wohl für immer der Monat sein in dem Karen starb.

Karens Monat. Ein Monat in dem du mir besonders nahe bist.

Ich weiss, dass du noch um mich bist. Manchmal bilde ich mir ein dich zu fühlen.
Ich denke oft an unsere Abmachung, dass wer zuerst stirbt sich mit einem Licht bemerkbar machen soll und zwar so, dass es kein Zufall sein kann, aber dass es nun so viele Jahre schon, immer wieder solche Zeichen gibt, lassen mich auch irgendwie hoffen dich eines Tages wieder zu sehen.

Du bist nun mein ganz persönlicher Schutzengel. Aus einem waschechten Punkie wurde
doch noch ein richtiger Engel :-)

Ich danke dir so sehr, dass es dich gab und dass ich das Glück hatte dich kennen zu dürfen!

Dein Licht brennt oft zuoberst in der Tenne und ich muss die Leiter hinaufsteigen, um es abzuschalten und auch andere Lichter gehen an, ohne dass man den Schalter gedrückt hatte.

Warum bist du immer noch hier?
Ich hoffe ganz fest für dich, dass du dich nun nicht so sehr nach dem Leben sehnst, wie du es früher nach dem Tod getan hast.

Du wirst für immer in meinem Herzen einen ganz besonderen Platz haben!
In Liebe
Epines

nika-chan

*Epilein erst mal ganz fest in den Arm nehm und streichel*

Meine liebe Epi,
deine Worte ergreifen mich sehr! Dein Verlust tut mir sehr leid und ich weiß gar nicht recht, was ich sagen soll.

Um ehrlich zu sein, berührt es mich auch total, dass ein Mensch solche Fußspuren im Herzen eines Anderen hinterlassen kann, selbst Jahre später. Und das diese Verbindung im Herzen trotz der Zeit nicht abreisst. Das eine Freundschaft so tiefgreifend sein kann, dass ist wunderschön. Obgleich es sehr traurig ist und es mir so leid tut! :(

Ich hoffe sehr, ich hab nichts schlimmes oder abwertendes geschrieben. Ich meine das nur gut. Und den Schmerz, den ich in deinen Zeilen lese, der berührt mich auch sehr.

Karen, ich hoffe, du weisst, wieviel du Epi bedeutest und wie sehr sie eure gemeinsame Zeit schätzt. Ich wünsche mir wie sie, dass es dir gut geht, wo auch immer du bist. Und wenn es erlaubt ist, dann bitte ich dich auch weiter auf Epi aufzupassen. Alles Liebe für dich!

Auch dir, liebe Epines, wünsche ich alles Gute und viel Kraft!
hab dich lieb :)


Epines

Hallo liebe Nika

Herzlichen Dank für deine mitfühlenden Worte!

**Um ehrlich zu sein, berührt es mich auch total, dass ein Mensch solche Fußspuren im Herzen eines Anderen hinterlassen kann, selbst Jahre später. Und das diese Verbindung im Herzen trotz der Zeit nicht abreisst. Das eine Freundschaft so tiefgreifend sein kann, dass ist wunderschön. Obgleich es sehr traurig ist und es mir so leid tut! :(**

Mir geht es genau so.
Ich habe sehr viel von Karen gelernt und insgeheim auch immer gehofft, dass sie trotz allem überleben würde, das Schlimmste für sie war die Gewissheit, mir mit ihrem Tod so weh zu tun und dies hat  ihr Leiden verlängert, denn sie hatte es solange hinausgezögert, bis es einfach wirklich nicht mehr ging. Ich habe sie mit meinem Egoismus am Leben erhalten, einfach weil ich sie nicht verlieren wollte. Sie hat auch bewusst einen Zeitpunkt gewählt, wo ich 1000 Km weit weg war.

Mir ist durch sie  klar geworden, dass kein Mensch einen anderen davon abhalten kann. Wenn der Entschluss erst einmal gefällt ist, gibt es kaum ein Zurück. Keine Therapien, keine Freunde, keine Liebe,  und auch kein mitfühlender und fürsorglicher Partner kann etwas verändern und keiner kann die wirkliche Dimension dieser Zerrissenheit im  Innersten eines Menschen erahnen, der sich  endlich entschieden hat. Ich habe sie sehen dürfen und es hat mich für immer verändert...

Alles Liebe
Epines

Epines

Auf meinem Tisch brennen zwei Kerzen für dich,  Karen meine Liebste.
Heute wärst du 39 Jahre alt geworden. Eine Horrorvorstellung für dich, ich weiss :-)

Wie schnell die Zeit verrinnt. 5 Jahre ist es nun her seit du gegangen bist. Es tut nicht mehr so weh wie vor einem Jahr noch, ich habe gelernt den Schmerz nicht mehr ständig zuzulassen, trotzdem bist du noch immer irgendwie ein Teil meines Lebens und ich vermisse dich und unsere täglichen Gespräche. Dein wunderschönes verschmitztes Lächeln, deine grünen Augen, dein sarkastischer Humor und deine Freundschaft, dein lebhaftes Interesse an vielerlei Dingen.

Ich erinnere mich an die vielen Begegnungen und Gespräche die wir führten. Du sagtest, dass dich vor mir nie jemand in den Arm genommen und gedrückt hat und nun wo du weißt wie es ist, würdest du gerne mehr davon haben. Das hat mich so traurig gemacht, auch weil deine Verliebtheit in deine Therapeutin so frustrierend und schmerzhaft und natürlich von vorneherein zum scheitern bestimmt war. Ich hätte dir so gerne eine Liebe gegönnt.

Einmal  saßen wir  im Auto und quatschten stundenlang und plötzlich sagtest du, dass du  Abschiedsszenen hasst und du dich deshalb nie umdrehen würdest.
Du gingst dann in eiligen Schritten vom Wagen weg und ich hupte mehrmals ungeduldig und schließlich hast du dich doch umgedreht. Da habe ich dir frech zugewinkt und fies gegrinst und da mussten wir beide heftig lachen.

Ach die Zeit mit dir war so schön Karen und du fehlst immer noch so sehr!
Alles Liebe , wo immer du auch bist!

Epines

Epines

Karen,
heute genau vor 5 Jahren haben wir uns um diese Zeit  verabschiedet. Es war so unendlich schwer dich los zulassen! Unendlich schwer zu glauben, dass es für dich keinen Ausweg mehr gab.

Du fehlst mir so. Ich höre oft die CD's die du mir geschenkt hast, mittlerweile kann ich es ohne weinen zu müssen, nur heute nicht.

Machs gut, du warst echt die beste Freundin die man sich wünschen kann!

Epines

Epines

Liebste Karen

Wie schnell die Zeit vergeht... 6 Jahre sind ins Land gezogen und tatsächlich ist der Schmerz um deinen Verlust weniger geworden. Ich konnte dich endlich loslassen, aber vergessen werde ich dich dennoch nie.
Du wirst für immer einen Platz in meinem Herzen haben!

Ich erinnere mich gerade an unser letztes Picknick im Wald. Du hattest die Axt mitgenommen um Brennholz zu hacken. Natürlich fielst du damit auf. Ein Punk mit einer Axt sah ganz schön furchterregend aus, jeder Spaziergänger hat sich vermutlich gefragt was du damit wohl vor hast. Wie haben wir über ihre erstaunten Gesichter lachen können.

Ach Karen..., wie schade, dass es dich nur noch in meinen Gedanken gibt...

Ich hoffe es geht dir gut!

Alles Liebe
Epines