Flucht in die falsche Richtung

Begonnen von parapieps, 02 November 2011, 09:52:02

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parapieps

liebe lesende,
ich möchte hier heute die frage in den raum stellen
"warum flüchten wir meist in die falsche richtung?"
dazu möchte ich gern in einzelne situationen hineingehen.
in unserer gesellschaft gibt es das ungeschriebene gesetz des stärkeren. jeder, der das pech hat, anderen auf ihrem weg nach oben im weg zu sein, wird einfach beiseite gedrängt.geschieht dies unter diesen beiden allein, ist es ein normaler machtkampf. man kämpft nur gegen diesen einen und gewinnt oder verliert am ende. so ist es bei den menschen, den tieren und in der pflanzenwelt. es ist gesetz.
sofern sich aber der aufsteigende, fremder hilfe bedient, wird es ein kampf nicht nur um die eigentliche sache, sondern ein kampf um existenzen. ich denke jetzt speziell an kollektives mobbing, wie es schon im kindergartenalter beginnt, sich über die schulzeit erstreckt und sich weiter im beruflichen wie im privaten leben fortsetzt. der gemobbte verliert jegliches selbstbewusstsein und zieht sich in sich zurück. baut mauern und masken und seine eigene kleine welt. er hat zwei wünsche. zum einen möchte er anerkennung und wieder dazugehören und zum anderen möchte er einfach nur seine ruhe und nicht mehr kämpfen. er gibt sich nach außen als ein mensch, der er nicht ist, um zu gefallen und  über seine eigenen defiziten hinwegzutäuschen oder aber er zieht sich in die ungesunde isolation zurück. beides führt irgendwann zur völligen erschöpfung und aufgabe.
in einer weiteren situation denke ich an SVV und diversen essstörungen. man entwickelt dies u.a. sofern man unter druck steht und ein ventil nach außen sucht. man möchte dampf ablassen, zeigen dass man nur allein die kontrolle über sich und seinen körper hat. nicht zeigen, sondern es sich selbst beweisen. darum liegt vieles im dunkeln und oftmals ahnt das umfeld nichts, bis es zu offensichtlich wird.
hier verschmelzen "belohnung oder bestrafung" zu einem einzigen akt. man gönnt sich etwas, aus der sehnsucht heraus nach liebe und einem glücklichen moment oder man ist frustriert und tut sich das seinem körper an, obwohl man weiß, dass es das eigentliche problem noch weiter fördert.
im letzten beispiel geht es mir um die flucht in die arbeit.
ganz persönlich ist dies mein stärkstes defizit. man stürzt sich in die arbeit. man hofft, sich von seinen derzeitigen problemen abzulenken. und tatsächlich klappt es auch. es geht gut und scheint das einzige wundermittel zu sein. man erkennt nicht, dass man auf dem besten wege in den burnout ist. man erkennt nicht die zeichen, wenn man an freien tagen nichts mit sich anzufangen weiß und es einem zunehmend schlechter geht. man hat angst vor längeren freien zeiten, weil man weiß, dass es einem nicht gut gehen wird. man ignoriert einfach alle signale.
ebenso gut wie die arbeit, sind unternehmungen, die einen niemals zur ruhe kommen lassen. die einzige freie zeit, die man sich gönnt, sind die schlafpausen. man jagt förmlich, jeder art von unterhaltung hinterher und genehmigt sich diese bis zur erschöpfung. ob dies nun sportliche oder kulturelle betätigungen sind.

allen diesen situationen liegt eine ursuche zu grunde. die tatsache, jemand sein zu wollen, der er nicht ist, etwas zu leisten, was einen im grunde herausfordert um sich eines selbst zu beweisen "ich gehöre dazu, ich bin stark" aber es geschieht auf kosten des eigenen wohlbefindens und seiner gesundheit.

ich bewundere all die menschen, die ihre eigenen ursachen erkannt und gelernt haben, damit zu leben, ohne dass es eine flucht in die falsche richtung ist.
gern möchte ich von diesen leuten lernen.
lg vom pieps

21HEIDI

Hallo Parapieps!

Dazu möchte ich Dir Folgendes sagen:

Meiner Meinung nach lernt man NIE aus,....das ganze Leben ist voller Überraschungen.....kommt immer darauf an,was man daraus macht!

Ich habe ebenfalls viele "Fehler" in meinem Leben gemacht,bin durch die Hölle gegangen,u.s.w....
Aber ich war damals jung,...es war ein anderer Zeitabschnitt und ich habe es eben damals für richtig gehalten oder empfunden.

Ich habe daraus gelernt und klarerweise würde ich heute gewisse Dinge nie mehr tun oder sie ganz anders beginnen,u.s.w..

Ich habe außerdem schwere Krankheiten und OP´s hinter und noch vor mir.
Auch dazu sage ich mir immer:
Es gibt nur 2 Möglichkeiten:
Entweder ich lern(t)e damit zu leben oder ich werde wahrscheinlich in der Irrenanstalt landen!

ICH habe längst gelernt,mit diesem und Jenem zu leben und habe seit Jahren meine Lebensdevise tättowiert:
"Wenn alle Menschen das tun würden,was sie mich können,
käme ich nie wieder im Leben zum Sitzen!"

Liebe Grüße,
HEIDI  (47J.)   :-)

Hobo

Liebes Pieps,

eigentlich erschlägst Du mit diesem Thema die Frage nach dem "Sinn unseres Lebens". Schon in einem anderen Thread von Ina ging es um ähnliches. Dort Abhängigkeit, hier auch, vielleicht mit anderen Schwerpunkten. Aber gehen wir mal langsam vor...

Zunächst die "Flucht". Jeder Mensch lebt in einem sozialen Kontext. In irgend einer Weise ist er in soziale Strukturen eingebunden. Angefangen bei der Familie, über die Schule und Ausbildung, natürlich das Berufsleben und auch und leider gerade Beziehungen bis hin zur Ehe und eigenen Familie. Insofern ist keine "Flucht" möglich. Wohin auch? Die lieben Psychologen haben diesen Ansatz ja sehr weit entwickelt. Es ist ein genetisch vorgegebenes menschliches Verhalten. Auf schwierige oder gefährliche Situationen hat der Mensch zwei Möglichkeiten einer Reaktion. Sie nennen es gerne Fight/Flight Dilemma.

Einfacher gesagt, ich kann versuchen zu laufen so schnell ich kann und mich der Situation zu entziehen oder ich stelle mich und kämpfe. Ursprünglich ging es in der Wiege der Menschheit um Angriffe durch gefährliche Tiere. Nun wissen wir ja inzwischen, dass der Mensch das gefährlichste Tier auf dieser Welt ist und natürlich auch für seine Mitmenschen. Siehe Mobbing. Wer sich nicht in das gesellschaftlich geforderte Verhalten einfügt, der wird ausgegrenzt. Wobei das noch ok ist, vor wenigen tausend Jahren wurde dieser Mensch direkt gesteinigt.

Das ist natürlich ein Wahnsinnsthema und es ist unmöglich hier in wenigen Sätzen auch nur ansatzweise etwas klar zu stellen. Deshalb empfehle ich Dir (und auch vielen anderen) einfach mal ein Buch. Hermann Hesse - Der Steppenwolf. Manche Menschen können damit umgehen, ein Außenseiter zu sein. Andere nicht. Die meisten wollen anerkannt und akzeptiert werden, andere pfeiffen darauf und lachen über diesen, aus ihrer Sicht, Konformismus. Es ist eine recht alte Frage, die schon viele Philosophen beschäftigt hat.

Auch das Arbeitsleben ist ja letztlich nichts anderes. Anerkennung bekommt der Fleißige, der, der immer da ist, der Überstunden macht, sich nie beschwert und jede Arbeit widerspruchslos annimmt und akurat erledigt. Aber, wie Du schon erkannt hast, zu welchem Preis? Und wieder geht es um Abhängigkeit und Anerkennung. Ja, wir alle wollen geliebt werden. Zumindest sympathisch sein. Wir sind eine Gattung, die nicht wie Grizzlys leben kann. Wir brauchen andere Menschen. Immer.

Auch wenn das keine erschöpfende Aussage zu Deinem Thema ist gibt es immerhin eine Grundlage für eine Antwort. Da niemand einen Menschen ändern kann und da niemand in einen Menschen hinein schauen kann bleibt ja nur noch eines über. Man muss die Menschen, mit denen man sich umgeben will sehr sorgsam auswählen. Und leider natürlich dann auch mit den Irrtümern leben. Einige werden immer durch den Rost fallen. Aber ich bin ganz sicher, dass es einige gibt, die den Schweiß der Edlen wert sind und die man auch gerne haben kann. Und Flucht kann eigentlich keine falsche Richtung haben. Sie geht immer weg vom Ärger, von der Gefahr. Egal wohin, nur weg. Und der Kampf, der hat auch nur eine Richtung. Mit festem Blick mitten hinein in die Gefahr.

Das ist auch schon meine Antwort. Nicht nur weil ich zu alt und zu müde bin weg zu laufen. Meine Empfehlung ist der Angriff. Fight, no Flight. Genauso wie in einem meiner liebsten Lieder. "But the Fighter still remains...".

Nur für Dich -

In the clearing stands a boxer,
And a fighter by his trade
And he carries the reminders
Of ev'ry glove that laid him down
Or cut him till he cried out
In his anger and his shame,
'I am leaving, I am leaving.'
But the fighter still remains


http://youtu.be/wzUEL7vw60U

lg
Hobo, oft am Boden, aber immer wieder aufgestanden...

Epines

Hallo liebe Para und Mitlesende

**im letzten beispiel geht es mir um die flucht in die arbeit.
ganz persönlich ist dies mein stärkstes defizit. man stürzt sich in die arbeit. man hofft, sich von seinen derzeitigen problemen abzulenken. und tatsächlich klappt es auch. es geht gut und scheint das einzige wundermittel zu sein. man erkennt nicht, dass man auf dem besten wege in den burnout ist. man erkennt nicht die zeichen, wenn man an freien tagen nichts mit sich anzufangen weiß und es einem zunehmend schlechter geht. man hat angst vor längeren freien zeiten, weil man weiß, dass es einem nicht gut gehen wird. man ignoriert einfach alle signale.
ebenso gut wie die arbeit, sind unternehmungen, die einen niemals zur ruhe kommen lassen. die einzige freie zeit, die man sich gönnt, sind die schlafpausen. man jagt förmlich, jeder art von unterhaltung hinterher und genehmigt sich diese bis zur erschöpfung. ob dies nun sportliche oder kulturelle betätigungen sind.**

Als Arbeitssüchtige kann ich hier  gut mitreden.
Ich bin da ohne es zu merken immer tiefer hinein gerutscht, ähnlich wie ein Alkoholiker, der anfangs auch nur denkt, dass 3 Bier am Tag nie schaden würden.
Mit meiner Arbeitswut habe ich mir das Image einer Person geschaffen, die kompetent, zuverlässig, einsatzbereit, flexibel, fleißig und unermüdlich bereit ist, sich für ein Projekt einzusetzen. Man hat mir immer mehr Aufträge aufgehalst und ich war stolz diese Chancen zu bekommen, um zu beweisen wie fähig ich auf diesem Gebiet war. Die darauf folgende Anerkennung hat mir gut getan und hat zweifellos auch dazu geführt, dass mein Selbstbewusstsein und mein Vertrauen in meine Fähigkeiten wuchs.

Es war dieser Hunger nach Erfolgen und Anerkennung, wie du auch schon an dir bemerkt hast, der mich immer weiter trieb. Erfolgssucht die zur Arbeitssucht führte. "Ohne Fleiß keinen Preis" , war damals mein Lieblingsspruch.

Ich lehnte nie einen Auftrag ab und dies ging auch einige Jahre wundervoll. Ich hatte weniger Zeit mich mit mir und dem Vergangenen ausführlicher auseinander zu setzen, ich nahm mich selber auch nicht wichtig, meine Beschwerden (Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Herz-Rhythmusstörungen, Magenschmerzen, Schwindel-und Ohnmachtsanfälle, Panikattacken, Atemnot, Gelenkschmerzen, Kiefersperren u.s.w.), waren gemessen an wirklich Kranken  bedeutungslos und nichtig.

Schlaf gab es meist nur  4 Stunden pro Nacht, oftmals auch keinen, aber ich redete mir ein, dass ich mit 2 Stunden meditieren, genau so erholt wäre, wie wenn ich 8 Stunden geschlafen hätte.

Durch die immer größer werdende Arbeitslast wurde ich zusehends aggressiver. Ich musste mich  anstrengen freundlich zu bleiben, denn ein genervter und gereizter Ton begann sich vor allem bei jenen einzuschleichen, die irgendetwas von mir wollten. Alleine das Telefonklingeln löste einen Wutanfall aus. Ich war ständig schlecht gelaunt und rastete immer häufiger auch wegen Nichtigkeiten aus.
Dann nach einigen abgeschlossenen Projekten , wo ich eigentlich hätte Urlaub machen können, überrollte mich die Leere und grenzenlose Langeweile so massiv, dass ich nicht mehr aus dem Bett kam und auch die ganzen alten Geschichten waren wieder ganz heftig da und drückten mich immer tiefer in die Depression. Totale Erschöpfung und Burnout...

Ich hatte dann, nachdem ich Monate später wieder arbeitete den festen Vorsatz, nur noch eine Arbeit anzunehmen, wenn ich eine andere abgeben konnte. Was sich natürlich im selben Job nicht einhalten ließ, denn man hatte sich an meine "Zuverlässigkeit" gewöhnt und wollte auf diese Leistung nicht verzichten und nicht lange danach war alles wieder beim Alten. Um mich zu schützen kündigte ich.
Also neuer Job jedoch im selben Metier, ich konnte ja nicht viel anderes, von weniger Arbeit keine Rede. Immer öfters fühlte ich mich für das Versagen anderer auch noch verantwortlich. Irgendwann war ich soweit, dass ich die Aufträge die ich an meine Mitarbeiter delegierte, jeweils kontrollierte, ob sie auch korrekt durchgeführt wurden, dies ging sogar soweit, bei Kleinigkeiten wie dem Reservieren eines Lokals für ein Meeting. Ich hatte bald das Gefühl, dass der Laden nur noch funktioniert, wenn alle Fäden bei mir zusammen liefen, was auch teilweise stimmte. Ich fühlte mich unersetzbar und jedes Nichtgelingen wertete ich als persönliches Versagen, obwohl es ausschließlich an der Sache und nicht an mir lag. Im Grunde war nichts meine alleinige Verantwortung, aber ich ließ auch nicht mehr zu, dass anderen Fehler passierten, mir sowieso nicht, es durfte einfach  kein Versagen meinerseits mehr geben.

Es fing neben den Dauerbeschwerden mit Erkältungen und Bronchitis an, die sich monatelang hinzogen. Natürlich ignorierte ich sie und arbeitete weiter. Dann tauchten plötzlich rote riesige Flecken im Gesicht auf, wie unangenehm so raus zu müssen...

Bis ich eines Tages nach wochenlanger Schlaflosigkeit, nach einem Vortrag, an dem ich Fragen zu beantworten hatte, einen totalen Realitätsverlust erlitt. Ich sah die Leute die mir Fragen stellten vor mir, sah wie sie ihre Lippen bewegten, aber ich konnte sie nicht hören, nicht mehr verstehen und ich wusste auch nicht mehr wo ich war.

Am nächsten Tag war ich  zwar wieder einigermaßen  in Ordnung, aber grenzenlos erschöpft und total energielos. An Arbeit war unmöglich zu denken. In den folgenden Wochen wurde mir dann endgültig klar, dass ich so nicht weiter leben darf und ich habe dann begonnen mein Leben langsam, aber sicher total zu verändern.

Ich kann nicht sagen, dass ich die Sucht ganz los geworden bin, denn wenn ich nichts tue, überkommt mich immer noch ein schlechtes Gewissen und ich fühle mich faul, aber ich kann dieses schlechte Gefühl  mittlerweile besser aushalten und ich arbeite am Sonntag nur noch ganz selten und gönne mir täglich eine Mittagspause. Mein Ziel ist es nur noch 10 Stunden am Tag zu arbeiten und auch irgendwann  einmal Urlaub zu machen und ich weiss, dass ich es schaffe... eines Tages...

Alles Liebe Euch
Epines


Adrenalinpur

Ihr habt alle Recht. Und nicht nur der Job presst einen in einen Erwartungshaltungskessel der brodelt und in dem man sich nur noch schwitzend und erschöpft um sich selbst dreht, auch Beziehungen machen das. Das einzige was da hilft - denke ich - ist Mut zum Neinsagen - nein ich komme jetzt nicht, nein ich mache das nicht, nein ich rufe nicht an jetzt. Das ist schwer aber ohne Freiraum für sich selbst geht es nicht. Ich kenne Menschen die es umgekehrt nicht schaffen allein mit sich was anzufangen und setzen damit wieder andere unter Druck. Das ist ganz übel