Heile-Welt-Ignorantin

Begonnen von Sternengucker, 18 Juli 2011, 12:09:49

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Adrenalinpur

Hab ich das jetzt falsch verstanden dann bist doch eine Nicht-heile-Welt Ignorantin

Die Welt ist ganz und gar nicht heile - es knirscht und knackst wie auf einem Dachboden eines nichtrestaurierten alten Hauses - noch kann man darauf laufen, aber irgendwann faulen und modern die Balken

Diesen Traum hatte ich früher oft.

Aber indes sind so schlimme Erlebnisse ein Anlass weiterzumachen, eine sagen wir mal eine Charakternarbe

Die kleinen Zeichen erkennen ...
Einen Baum einen Falter den Mond eine Katze ein Falkengesang ...

Ich will auch als Nicht-Erfolgin in diese Welt bleiben bis es eben soweit ist

Sintram

Das Leben geht weiter.
So lange dein Herz pocht, lebst du und bist gezwungen, Leid zu ertragen.

Wenn ich heute diese oder jene Schreckensmeldung ins Wohnzimmer geliefert bekomme, wie etwa zur Zeit Afrika und Norwegen, wird mir bewusst, mit wie unendlich viel Leid ich schon auf diese Weise konfrontiert worden bin, allemal genug für ein seelisches Dauertrauma, unbewusst, verdrängt, relativiert und trotzdem immer gegenwärtig.
Das Schicksal wollte es, dass ich noch da bin, um daran teilzunehmen, es auf irgendeine Form mit den Leidtragenden zu teilen, tatsächlich hört man immer wieder von Leuten, dass gezeigte Anteilnahme ihnen in den schwärzesten Stunden geholfen hat.
Nur durch Anteilnahme (oder Hilfe wenn möglich) wird die Informationsflut der Schrecken zu einer Form der Kommunikation, trotz aller widerwärtigen Sensationslust und dergleichen Abartigkeiten.

Manches Unbegreifliche, das ich höre oder sehe, quittiere ich mit der laxen Bemerkung:
,,Na super, die sind bedient fürs ganze Leben."
Das kann ich sagen, weil ich weiß, dass das eine oder andere einen ein Leben lang begleitet.
Es gibt Dinge, mit denen du nie fertig wirst und froh sein darfst, wenn du es geschafft hast, sie wenigstens meistens als unabänderliche Gegebenheit stehen zu lassen, ohne sie verstehen oder annehmen zu können, das wird dir nie gelingen.

Im Lauf der Jahre schiebt sich einfach so viel Leben dazwischen, dass du nicht mehr sagen kannst, ob es dir besser oder schlechter ginge, wenn das damals nicht geschehen wäre, ja manchmal sogar fragst du dich, ob es nicht doch irgendeinen Sinn gehabt hat so wie´s war, weil du ansonsten nie da angelangt wärst wo du heute bist.
Das ist aber auch das Höchste an Positivem, das du tiefen unbegreiflichen Leiderfahrungen abgewinnen kannst, und im nächsten Moment denkst du dir: Ach was, ich hätte trotzdem getrost drauf verzichten können und es lieber nicht erleben und durchmachen müssen.

Du kannst ein schlechtes Gewissen haben und hast es auch, wenn es dir allmählich wieder besser geht, weil du dich insgeheim dafür schämst, so kalt und egoistisch zu sein, aber das ist blanker Unsinn.
Wärst du´s nämlich nicht, könntest du deinem Leben ebenso gut ein Ende setzen, weil es menschenunmöglich ist, ein Lebtag mit der selben Intensität zu leiden und trauern, außerdem hat niemand etwas davon, am allerwenigsten du selbst.
Ob deine Mitmenschen dir dein neuerwachendes Glücksempfinden nun gönnen, es erwarten oder nicht zugestehen, darf überhaupt keine Rolle spielen dabei, die einen sehen es so und die andern so, je nachdem wie sie selbst drauf sind, das ist völlig irrelevant.

Wichtig ist, dass du für dich selbst im ,,schwindenden" Schmerz die gütige Hand des Lebens erkennst, das dich weiterleben lässt und langsam wieder Freude finden an kleinen scheinbar unbedeutenden Dingen, je öfter du diese Erfahrung machst, desto leichter fällt es dir, diese kleinen Tautropfen des Glücks bedenkenlos zu trinken, eben weil du aus schmerzlicher Erfahrung weißt, dass sich morgen schon alles ändern kann.

Ob du nun den schönen Augenblick auskostet oder es dir nicht zugestehst, er kann morgen schon für immer verschwunden sein, und da ist es allemal besser sich sagen zu können, ich hatte Zeiten der Freude und der Fülle, auch wenn sie jetzt Trauer und Leere geworden sind,
anstatt dir sagen zu müssen, ich habe mich nicht getraut, die Freude anzunehmen und wirklich zuzulassen aus Angst sie wieder zu verlieren und habe sie dennoch verloren.

Denn dein sich Verschließen und ,,Schützen" wird nichts ändern daran, dass und ob du Glück und Freude verdient hast und wieder verlieren kannst, nicht das Geringste, aber dass du sie bis dahin nicht einmal richtig erfahren und genießen hast können, das kannst du Schritt für Schritt ändern.

Ich kann nur sagen, das Leben hat wahrlich genug an Leid und Schmerz zu bieten, um uns das bedenkenlose Auskosten der glücklichen Zeiten zu gestatten, und zwar für alle, immer und überall an jedem Ort dieser Welt.
Es gibt nicht einen einzigen wirklich vernünftigen Grund, sich sein jederzeit gefährdetes Glück nicht zuzugestehen und zu erlauben, oder deshalb ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, nicht einen einzigen.

Glückauf!
Sintram




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