Warum immer jemand etwas noch Schlimmeres erlebt hat und wir uns dann schämen..

Begonnen von Epines, 15 Februar 2011, 15:34:47

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Epines

Hallo liebe Leute

Man hat selber schlimme, unglaubliche Dinge erlebt und beginnt darüber zu reden. Dadurch eröffnen sich dir auch andere Menschen die ähnliche Erlebnisse hatten. Es entstehen viele gute und wertvolle Gespräche, aber innerhalb dieser Gespräche kommt plötzlich der Gedanke hoch:" Mein Gott, wie wichtig du dich doch nimmst, was ist denn dein Erlebtes im Vergleich zu der Hölle durch die dieser Mensch gegangen ist."

Kennt ihr dies auch?

Früher ging  es mir dann immer ein paar Stunden schlecht, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, dass ich im Vergleich zu dem was diese Person mir gerade erzählt hat, gar nicht das Recht habe überhaupt zu klagen und zu bedauern was mir widerfahren ist,
ich eigentlich noch dankbar sein müsste und es im Vergleich sogar noch richtig gut hatte...

Trotz allem was ich über den Verleugnung- und Verdrängungsprozess weiss, bagatellisiere ich immer mal wieder die Verbrechen die an mir begangen wurden und dies obwohl ich sie seit langem als Teil meiner Biographie akzeptiert habe.

Wird dies wohl irgendwann aufhören?

Epines




Ina

Hallo Epines,

meiner Meinung nach kann man seelisches Leid und dessen Auslöser nicht
vergleichen. Was dem einen am A*sch vorbeigeht, berührt den anderen wie-
derum total - und umgekehrt. Was manche als schlimm erachten, finde ich
überhaupt nicht schlimm und umgekehrt ist es das selbe. Das eigene Leid
erscheint oft sowieso am größten. Es hängt einfach von der psychischen Ver-
fassung und Stabilität ab, die ein Mensch hat.


Liebe Grüße,
Ina
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

Jeder fühlt und empfindet eben anders.

Oder andersherum, mal ein Beispiel:

Eine Obdachlose kann genauso stark leiden wie ein Mann, der gerade seine
Partnerin verloren hat. Völlig unterschiedliche Dinge, die aber eventuell die
gleichen Gefühle hervorrufen und den Menschen in eine ähnliche Krise bringt.

Es kommt nicht unbedingt auf das Erlebte an, wie sehr ein Mensch leidet.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Eloa

Hallo liebe Epines,

ja, mit Deinem Thread, da sagst Du was, was auch ich schon oft an mir bemerkt habe. Das ist wohl auch mit der Grund, weshalb ich mir das Reden über mein Erlebtes verboten habe. Es erscheint mir als nicht richtig und ich möchte nicht, das jemand sagt: Ach komm, hör auf, du mit deinen bissel erlebten Sachen. Dir geht es doch gut. Was jammerst du so. Ja, leider habe ich so etwas ähnliches schon gehört. Ich rede selten. Wenn ich mal rede, dann hab ich das Gefühl, dass das was ich erzählt habe, nicht reicht. Es müsste dramatischer sein, um Beachtung zu finden. Mich gucken dann zwei Augen an und ich hab das Gefühl, darin lesen zu können, was DAS war es schon? Mehr nicht?

Ich habe in den letzten Jahren viele Menschen kennengelernt, wo ich sage: Oh je, nee, das darf nicht wahr sein. So was furchtbares musste dieser Mensch erleben und erleiden. Und ich jammere und meine Diagnosen sind nicht berechtigt, sie sind falsch. Reiss dich zusammen.

Klar sollte man sich nicht vergleichen. Aber ich für meinen Teil tu es. Manchmal hilft es mir, manchmal streckt mich es nieder.

eloa

WeirdLife

Verstehe gut was du meinst und möchte gerne mit einem Zitat antworten

"Nothing that grieves us can be called little: by the eternal laws of proportion a child's loss of a doll and a king's loss of a crown are events of the same size."

(Freie Übersetzung: Nichts, dass uns belastet kann als gering bezeichnet werden: gemäß der ewigen Proportionsgesetze sind der Verlust einer Puppe eines Kindes und der Verlust einer Krone eines Königs gleich schwerwiegende Ereignisse.)
I decided not to give up today. After all, it sure would have been a waste surviving all that other bullshit for nothing.

Adrenalinpur

Dialoge mit anderen über das Leben und die Krisen die es da gibt sind immer hilfreich - denn wir sitzen in einem Boot-
auch aus dem Gefühl das erstmal schlimm scheint "das gehts mir ja noch gut" können wir lernen. Darin sehe ich nichts negatives wir müssen interagieren. Es ergeben sich daraus Freundschaften, neue Perspektiven und viele Freundschaften sind die besten wenn man zusammen Tiefpunkte gemeistert hat.

Adrenalinpur

wenn die Freundschaft dennoch sich auflöst beginnt das schwierigste im Leben, jemand gehen lasen den man durch Gespräche liebgewonnen hat, durch Nähe

das ist dann wirklich hart


Epines

Dank euch allen für eure Antworten.

@Eloa
Du schreibst:"Es erscheint mir als nicht richtig und ich möchte nicht, das jemand sagt: Ach komm, hör auf, du mit deinen bissel erlebten Sachen. Dir geht es doch gut. Was jammerst du so. Ja, leider habe ich so etwas ähnliches schon gehört. Ich rede selten. Wenn ich mal rede, dann hab ich das Gefühl, dass das was ich erzählt habe, nicht reicht. Es müsste dramatischer sein, um Beachtung zu finden. Mich gucken dann zwei Augen an und ich hab das Gefühl, darin lesen zu können, was DAS war es schon? Mehr nicht?"

So etwas kenne ich natürlich auch, ich sehe in die Augen eines Gesprächspartners und er, oder auch sie, sieht mich als erwachsene Frau die von Praktiken erzählt die unter Erwachsenen Gang und Gäbe sind und die wenigsten sind wirklich schockiert. Ich hörte auch schon Sprüche wie :" Na komm, wird doch nicht so schlimm gewesen sein"... oder auch:" Ich habe viel schlimmeres erlebt und es hat mir auch nicht geschadet" und dies von Menschen die schwer psychisch und körperlich krank sind.

Mir ist in den Momenten klar, dass das Gegenüber das Kind nicht sehen kann und darum habe ich angefangen, ein uns gemeinsam bekanntes Kind als Beispiel zu nehmen und zu fragen, ob es auch für ein so kleines Kind nicht schlimm sei. Plötzlich sieht die Situation ganz anders aus.

Auch was du betreffend der Dramatik sagst stimmt genau, es muss schon beinahe Folter sein, damit es für Ausstehende noch Relevanz hat.

Ich höre aber trotzdem nicht auf darüber zu reden, denn unser Schweigen ist für die Täter ein Segen und motiviert sie weiter zu machen.

Oft frage ich mich, ob die Mehrheit der Menschen schon so abgestumpft ist, oder ob nur wir die Belasteten überhaupt empathisch sind.

Alles Liebe
Epines


Fee

Liebe Epines,

es gibt zig Gründe,warum Menschen,wie und auf was reagieren.Und manche "Dinge",sind scheinbar sowas von unvorstellbar,daß man sogar des Lügens bezichtigt wird.

Auch Mitleid erregen wollen und vieles mehr,fantasieren manche.
Für mich persönlich ist es,Dank meiner Thera,aber nicht mehr wichtig,dieses:"WARUM tun mir Menschen sowas noch zusätzlich an?"

Wichtig finde ich,wie Du,das:

***Ich höre aber trotzdem nicht auf darüber zu reden, denn unser Schweigen ist für die Täter ein Segen und motiviert sie weiter zu machen***

... und das kostet schon genug Kraft und Mut !!!


Helfen tut mir auch immer wieder das:

Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst,
was weißt Du von den Schmerzen,
die in mir sind und was weiß ich von Deinen.

Und wenn ich mich vor Dir
niederwerfen würde und weinen und erzählen,
was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle,
wenn Dir jemand erzählt,
sie ist heiß und fürchterlich.

Schon darum sollten wir Menschen
voreinander so ehrfürchtig,
so nachdenklich stehen,
wie vor dem Eingang zur Hölle".

Franz Kafka


L.G. Fee




WeirdLife

I decided not to give up today. After all, it sure would have been a waste surviving all that other bullshit for nothing.

Epines

Hallo liebe Fee

Ja ein sehr schönes Zitat.

Bei mir ist jedoch meistens genau das Gegenteil der Fall, ich fühle den Schmerz des Gegenüber, weiss um die Hölle die ihn/sie geprägt hat und ich bin oftmals fassungslos...

Ich lerne zwar mich mehr und mehr abzugrenzen, aber bin nicht sicher, ob ich das auch möchte. Will ich so unempfindlich gegenüber dem Leiden anderer werden, wie das Groß der Menschheit? Verliere ich dann nicht etwas, was ich immer als besonders wertvoll erachtet habe?


Fee

Liebe Weird, * "Lob" an Kafka weiterreicht *


Liebe Epines,

***Ich lerne zwar mich mehr und mehr abzugrenzen, aber bin nicht sicher, ob ich das auch möchte. Will ich so unempfindlich gegenüber dem Leiden anderer werden, wie das Groß der Menschheit? Verliere ich dann nicht etwas, was ich immer als besonders wertvoll erachtet habe?***

... Deine obige "Beschreibung" ist,glaube ich,sowieso kaum möglich.Und sich abgrenzen,bedeutet laut meiner Thera auch nicht unempfindlich werden gegen das Leid anderer,sondern so etwas wie auch mal NEIN sagen.Also eigene Grenzen aufzeigen und vor allem konsequent dabei bleiben,auch wenn`s "brennzlig" wird.

Allerdings neige auch ich dazu mir Manches "zu sehr zu Herzen zu nehmen",was mir wiederum oft schadet.Etwas weniger davon,wäre wohl vernünftig.Ich arbeite dran,was aber nicht heißt,daß ich demnächst mit L.G. Eisklotz,hier "unterschreibe".


L.G. Fee :)

Epines

Hallo liebe Fee

Eigentlich kann ich außer zu Schokolade schon ganz gut NEIN sagen :-)

Na ja ich muss noch viel lernen, aber ich habe ja noch Zeit.

Alles Liebe
Epines