Nicht einmal ein Abschied

Begonnen von AHunter, 02 August 2010, 05:48:34

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AHunter

Nicht einmal ein Abschied


Löse meine Arme aus ihrer steifen Montur und lege sie flach vor
die Tastatur, damit sie da einfühlsam weiter vorherrschen können,
fern von Wärme, dafür nun von Einsamkeit beseelt. Fern von Gefühlen,
dafür nun mit Gewalt erfüllt. So schmettern die Muskeln, trommeln
und schlagen mit dem Puls und der Anspannung sich selbst blutige
Wunden, ohne auch nur zu zucken, nur zum Tippen bereit, nein, nur
zum Tippen gezwungen.

Höre Stimmen, wie eh und je, drehe mich trotz lautester Musik nach
ihnen um. Könnte doch jemand da stehen, jemand mir nicht so fernes,
jemand der meine Hilfe sucht, so wie er klingt. Zugleich frage ich mich,
ob ich überhaupt gebraucht werden könnte, egal in welcher Situation.
Brechen sie davon, brechen sie zusammen, entschwinden, ohne Errettung.
Ich sehne mich nach einer Zigarette, keiner gerauchten, sondern nur einer
entfachten, um sie in das Fleisch zu sengen, in das Fleisch dieser sturen Arme,
die fast nicht zulassen, dass noch etwas über ihre Finger entsteht.

Verzweifelter Kampf gegen die Gedanken entstand mit seiner Krankenhauseinlieferung.
Gerangel darum, wer recht haben könnte, die Abwendung oder die Zuwendung?
Ein Versuch einer Erklärung, kein Versuch einer Erklärung, denn es wäre
nur eine Ausflucht. Nein, es ist bedeutsam, egal, wie man es wandelt. Alte
Wunden brechen spürbar auf, ohne Ängste, nur in Schmerz, das kalte Brennen,
der warme Blutfluss und dennoch nur so eine Illusion wie all die Stimmen.

Sitze vor mir selbst. Erhalten von dem Gespür, ihn zu verlieren, schon verloren
zu haben. Er ist gesund, sagt man sich, er ist nicht all zu krank, denkt man sich,
er wird es überstehen, sagt man anderen, es ist schrecklich, denken andere.
Ich selbst war im ersten Moment erleichtert und erschüttert zugleich.
Wünschte man sein abtreten denn nicht? So fürchtet man nun seinen Verlust.

Und wieder stellt man sich in den Mittelpunkt, stellt ihn, sein Leben, seine
Stärke, seine Art in Frage. Sieht nur noch dem Begräbnis, der Zeremonie in
Schwarz, entgegen, abgehalten unter freundlich fremden Anverwandten.
Geschwister geladen, Abschied genommen, Erde geschüttet und danach
verschollen in eigenster Welt.

Kann mir die Tränen nur schwer verkneifen. Spüre, wie sie die Augen in
ihrem Wasser entzünden. Sehe zugleich Schatten, hinter ihm, hinter mir.
Diese schwarzen Schwingen des Zorns, wie sie sich ausgraben aus dem Fleisch
und mit ihrer Wut hochschwingen, mich mitziehen, und alles zurücklassen,
nur um diesem Schmerz zu entkommen, ihn vielleicht schon wieder zu verlieren,
vielleicht für jetzt, vielleicht für morgen, vielleicht für immer.