Escitalopram bei Jugendlichen

Begonnen von Fuchs, 11 November 2020, 19:29:03

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Fuchs

Hey,

Ich nehme seit wenigen Tagen Escitalopram ein, aktuell noch 5mg pro Tag, was in den nächsten Wochen auf 15mg erhöht werden soll.
Verschrieben wurde mir das Medikament von einer Fachärztin für Kinder- und Jugendlichenpsychatrie und -psychotherapie, zu der ich auch vor einigen Monaten schon einmal Kontakt bei meiner Suche nach einem Therapieplatz hatte.
Diese Ärztin hat mit mir alles durchgesprochen und ich war beim Arzt für eine Blutabnahme. Insofern ist alles gut gelaufen.
Bisher verspüre ich kaum Nebenwirkungen, dafür eine Verbesserung meiner Grundstimmung - was also ziemlich positiv ist.

Zuhause habe ich die Packungsbeilage gelesen und darin stand, dass Escitalopram normalerweise nicht Jugendlichen unter 18 Jahren verschrieben wird. Die Ärztin hat das aber mit keinem Satz erwähnt und es schien auch definitiv nicht ungewöhnlich für sie zu sein, das Antidepressivum für Minderjährige zu verschreiben. Ich werde sie auf jeden Fall bei unserem nächsten Termin darauf ansprechen, wollte aber dennoch hier fragen, ob sich jemand damit auskennt.

Ist es normal, dass bei Antidepressiva dieser Altershinweis gegeben ist?
Könnte das damit zusammenhängen, dass bei Kindern und Jugendlichen als Nebenwirkung häufiger in den ersten Wochen verstärkte depressive und suizidale Gedanken auftreten?
Denn unerträglich muss dem Fröhlichen
Ein jäher Rückfall in die Schmerzen sein.

- Iphigenie auf Tauris (Goethe)

Ina

 
Der Altershinweis kann darauf hindeuten, dass bei Kindern und Jugendlichen entweder die Wirksamkeit des Medikaments oder die Auswirkungen bei langfristiger Einnahme bisher nicht oder nicht ausreichend untersucht wurden. Daher wird eher davon abgeraten, es dieser Altersgruppe zu verschreiben. Es ist also praktisch ein Sicherheitshinweis. Allerdings gibt es auch Psychopharmaka, die für Kinder und Jugendliche wirklich ungeeignet sind, weil sie z.B. zu einer Wachstumsverzögerung o.ä. führen können. Das steht dann selbstverständlich auch in der Packungsbeilage.

Es ist nicht grundsätzlich ungewöhnlich, dass Jugendlichen ein Antidepressivum (eher zur kurzzeitigen Einnahme!) verschrieben wird. Meistens werden aber erst einmal pflanzliche Mittel wie Johanniskraut-Präparate gegen depressive Verstimmungen ausprobiert (sofern keine Allergie gegen den Wirkstoff besteht und keine anderen Medikamente eingenommen werden, mit denen es Wechselwirkungen geben könnte). Bevor jemandem in Deinem Alter Antidepressiva verordnet werden, sollte eigentlich (!) auch erstmal geschaut werden, welche Behandlungsmöglichkeiten es sonst noch gibt, also z.B. regelmäßige Gespräche mit einem Psychotherapeuten (ich verzichte bewusst aufs Gendern, weil mir das zu anstrengend ist ;)), Ergotherapie, ggf. auch ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik für Jugendliche, eine Veränderung der Lebensumstände / des Umfelds, sofern dieses als Ursache der Depression in Betracht gezogen wird usw.

Soweit ich weiß, gibt es Studien, die zu dem Ergebnis führten, dass Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen weniger Nutzen haben als bei Erwachsenen und dass ihre Einnahme gewisse (größere) Risiken birgt. Näheres kann ich Dir dazu gerade nicht sagen, könnte ich aber recherchieren.

Man muss sich einfach darüber im Klaren sein, dass Antidepressiva und andere Psychopharmaka "etwas im Gehirn machen". Es ist also nicht ganz ohne. Bei Escitalopram betrifft dies den Neurotransmitter (Botenstoff) Serotonin, dessen Wiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt durch das Medikament gehemmt wird, sodass sich dort die Konzentration des Serotonins erhöht (→ selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Abk. SSRI). Ob ein solcher Eingriff in den Gehirnstoffwechsel für so junge Menschen geeignet ist, ist fraglich / zweifelhaft. Ein Facharzt kann das aber selbstverständlich besser beurteilen als ich. Das ist nur mein begrenztes Wissen zum Thema.

Zu Deiner letzten Frage: Antidepressiva wie Escitalopram wirken u.a. angstlösend und antriebssteigernd. Dieser Effekt tritt oft VOR der antidepressiven Wirkung ein. Ganz lapidar gesagt: Wenn man ohnehin schon ernsthafte Selbstmordabsichten hat, kann man sich durch den gesteigerten Antrieb, die reduzierte Angst und die erhöhte Aktivität evtl. eher dazu überwinden, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Regelmäßige Termine beim behandelnden Psychiater sind deshalb gerade in den ersten Wochen, bevor sich die antidepressive Wirkung zeigt, sehr wichtig.

Wenn Du Bedenken hast, kannst Du auch ruhig schon vor Deinem nächsten Termin in der Praxis anrufen und nachfragen.

Ich hoffe, ich konnte Dir ein bisschen weiterhelfen!
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)