"Glück festhalten" – wie macht Ihr das?

Begonnen von Ina, 05 Oktober 2018, 07:37:47

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Ina

 
Viele von Euch kennen das: Freude zu empfinden fällt in depressiven Phasen generell recht schwer – und wenn man sich über etwas freut, etwas Schönes erlebt, Glück hat usw., dann verblassen diese positiven Gefühle ganz schnell wieder. Sie verpuffen im Nichts, als hätte es sie nie gegeben. Die Depression legt sich wie ein dicker, düsterer Nebel um die Gedanken, lenkt sie in eine andere Richtung und färbt sie schwarz. Aber nicht nur die Gedanken-, sondern auch die Gefühlswelt wird in Dunkelheit gehüllt. Sie verschleiert die Sicht, lässt den Blick auf Gutes nur noch im Ansatz oder sogar gar nicht mehr zu und man glaubt, ALLES sei schlecht.

Ich glaube, es ist selten wirklich alles schlecht. Jedenfalls nicht dauerhaft. Es gibt immer auch Dinge, die gut laufen, über die wir uns freuen können, die uns gut tun, uns zum Lachen bringen, uns ein bisschen Kraft geben und Mut machen und uns dabei helfen, die Hoffnung nicht ganz aufzugeben – UNS nicht aufzugeben.

Doch die Gegenseite wiegt schwerer... Bedingt durch die Depression, ist unser Fokus oftmals zu sehr darauf gerichtet, was uns fehlt und traurig macht, was uns schwer fällt und Probleme bereitet, was uns ängstigt, betrübt und an uns, an anderen oder allgemein an unserem Weg und unseren Entscheidungen zweifeln lässt. Dem Guten wird zu wenig Beachtung geschenkt – sei es, weil man es gar nicht erst (oder kaum) wahrnimmt oder weil man parallel dazu so sehr damit beschäftigt ist, die depressiven Gedanken und Gefühle auszuhalten oder weil man vor einem riesen Berg Probleme steht, den es zu bewältigen gilt.

Das Positive, was wir durchaus auch erleben, gerät zu schnell in Vergessenheit. Dabei sind es doch genau diese Dinge, an die wir uns gerade in schweren Zeiten erinnern sollten; die Momente, die wir versuchen sollten auszukosten; die Erlebnisse, von denen wir möglichst lange zehren können sollten – das, woran wir uns FESTHALTEN sollten!

Es ist schwer, ich weiß. Trotz Depression ist es aber nicht unmöglich.

Ich versuche mir diese Dinge zu verinnerlichen, indem ich sie aufschreibe – und zwar gerade in Phasen, in denen es mir eigentlich gar nicht gut geht und ich ziemlich verzweifelt bin. Im Offtopic-Bereich haben wir so viele schöne, positive Threads wie "Was hat dir heute FREUDE bereitet?", "Dinge für die es sich zu leben lohnt", "Wann habt ihr gelacht?", "Dinge, die mir gut tun" oder die "Dankbarkeitsliste". Ich nutze diese Threads sehr gerne, um mir immer wieder bewusst zu machen, dass eben NICHT alles schlecht ist und ich sehr wohl auch Schönes erlebe und noch fähig bin, mich zu freuen. Manchmal brauche ich es, mir diese Dinge möglichst oft vor Augen zu führen, selbst wenn es mal drei Tage hintereinander ungefähr die gleichen Sachen waren, die etwas Positives in mir ausgelöst haben. Durch das Schreiben wird es greifbarer. Und es ist schön, es mit anderen zu teilen und zu zeigen, dass sich – wenn man genau hinsieht – eigentlich fast jeden Tag etwas finden lässt, was weder schlecht noch "neutral" war bzw. so wahrgenommen wurde.

Privat – nur für mich – schreibe ich manches davon natürlich ausführlicher auf (wenn ich mich denn daran erinnere); teils sind es detaillierte Schilderungen von besonderen Situationen, oft aber auch einfach nur ein paar Stichpunkte oder einzelne Sätze, die man zu mir sagte und die mir gut getan, mich gefreut, mich berührt oder mir aus irgendeinem Grund etwas bedeutet haben. Was auch immer – eben all das, was sich GUT angefühlt hat. Sofern es sich umsetzen lässt, halte ich Dinge auch sehr gern fotografisch fest, um sie nicht zu vergessen (fehlende Erinnerungen sind aufgrund der ständigen Schlaflosigkeit leider ein großes Thema für mich geworden).

Es kann gut tun, die positiven Momente und Erlebnisse gedanklich noch einmal Revue passieren zu lassen und sich vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt nochmal durchzulesen, wie man sie empfunden / sich dabei gefühlt hat. Selbst wenn man es dann nicht erneut so fühlen kann, wie es in der jeweiligen Situation war, so hat man sich aber doch wieder bewusst gemacht, dass "es" nicht hoffnungslos ist und dass ein Leben mit Depressionen keineswegs ausschließen muss, dass man sich an etwas erfreuen, über etwas lachen und Schönes erleben kann.

Alles in allem ist es mir jedenfalls eine Stütze und hilft mir, mich noch ein bisschen daran festzuhalten. Aktuell funktioniert das leider nicht. Ich schreibe zwar sehr viel – man kann es als Versuch betrachten, mich vor einem Absturz zu bewahren – aber es "wirkt" nicht. Ich erlebe schöne Momente, kann mich freuen und lachen, aber das mit dem Festhalten, nein, das will nicht so recht gelingen. Ist der Moment vorbei, ist meist auch das gute Gefühl kurze Zeit später verschwunden. Wie weiter oben beschrieben: Es verpufft im Nichts, als hätte es nie existiert. Das betrifft nicht alles, aber vieles. Ich muss mir wohl eine neue Herangehensweise überlegen.

Um mich soll es hier aber gar nicht gehen: Vielmehr möchte ich gerne von Euch wissen, wie IHR das macht: Glücksgefühle und Freude festhalten – Positives "nachwirken" lassen, sodass es länger spürbar bleibt – es nachhaltig in Euch aufnehmen – Euch an den Gedanken / Erinnerungen an das Gute festhalten. Habt Ihr diesbezüglich eine funktionierende Strategie für Euch entwickeln können?

Ich freue mich darauf, von Euch zu lesen!
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

KleoTess


Hallo Ina,

Du sprichst mir aus der Seele.
Glückliche Momente überhaupt als solche wahrzunehmen oder sie zu genießen fällt schwer, wenn man doch alles andere als glücklich ist.
Und doch sind es diese Momente, die einem immer wieder vor Augen führen, wie wertvoll Leben sein kann.

Viele Menschen denken zu viel.
Wer kennt nicht diesen Moment? Man redet sich eine schöne Situation, einen glücklichen Moment in Gedanken so lange schlecht bis man ihn nicht mehr als solchen erkennt - und das meistens im Nachhinein.
Manchmal hilft es nicht zu denken sondern wahrzunehmen.
Einfach die Augen öffnen, seine Umgebung wahrnehmen, die Menschen, Gerüche, Eindrücke.

Liebe Grüße
Kleo

Ina

 
Hallo Kleo,

vielen lieben Dank für Deinen Beitrag!

Ja, genau das ist es auch bei mir: Ich denke zu viel. Wenn ein schöner Moment, eine schöne Situation doch auch etwas weniger Schönes beinhaltete – z.B. eine plötzlich auftretende Erinnerung, die mir Angst gemacht, blöde Gedanken ausgelöst oder Zweifel geweckt hat – messe ich dem manchmal mehr Wert bei als der Situation an sich, obgleich es mit dieser eventuell gar nichts zu tun hatte. Im Nachhinein ist mein Fokus dann oftmals viel mehr auf die besagte Erinnerung (oder was auch immer) gerichtet als auf den eigentlichen Moment, den ich im Grunde ja positiv empfunden habe. Meine Gedanken werden also davon weggelenkt und die aufkeimenden Gefühle überschatten das Gute mehr und mehr, bis ich es nicht mehr als solches wahrnehme oder es mir egal wird. Ich weiß, dass es schön war, aber kann es nicht mehr fühlen.

Da zum Glück aber nicht jeder glückliche Moment mit "sowas" einhergeht, kommt das oben Beschriebene gar nicht so oft vor. Wenn nichts "schlecht" WAR, dann REDE ich mir auch nichts schlecht. So weit bin ich also schon mal (→ das war nicht immer so!). Dennoch geht das gute Gefühl schnell verloren... Das liegt (bei mir) wohl daran, dass ich nach besonderen Erlebnissen o.ä., insbesondere wenn ich (wieder) alleine bin, sehr schnell in meinen "Normalzustand" zurückfalle und mich zu sehr davon einnehmen lasse – und dieser "Normalzustand" zeichnet sich leider seit vielen Jahren durch eine depressive Grundstimmung, Zweifel und das Gefühl von Ausweglosigkeit aus und ist häufig mit Erinnerungen an Ereignisse der letzten Jahre, dem Lautwerden aktueller Belastungen, für die ich keine Lösung finde, und sehr intensiven Ängsten verbunden. In diesen Erinnerungen, Gedanken und Ängsten verliere ich mich leider recht schnell – und das Gute, das Gegenwärtige tritt in meiner Wahrnehmung in den Hintergrund.

Eigentlich ist es doch "typisch Depression": Sie hat einfach viel mehr Kraft als das, was uns gut tut und glücklich macht (bzw. machen könnte) – sie ist hartnäckig und sehr ausdauernd, wenn es darum geht, uns für sich zu gewinnen! Wenn ich es mir bildlich vorstelle, ist es in etwa so: Man nehme eine Waage, lege in die rechte Waagschale alles, was gerade gut läuft, sich schön anfühlt und einen freut (bzw. zumindest unter anderen Umständen freuen würde), und fülle die linke Waagschale mit den vorhandenen depressiven Gedanken, Gefühlen und Ängsten. Selbst wenn das Volumen auf beiden Seiten das gleiche ist, wird die linke Waagschale zu Boden sinken und die rechte in die Höhe steigen. Die Depression wiegt einfach schwerer, hat eine höhere Dichte und ist im wahrsten Sinne eine Last, während das Positive eher "beflügelnd" ist und eine gewisse Leichtigkeit mit sich bringt. Und dadurch, dass man als Depressiver dazu geneigt ist, sich auf die negativen Dinge zu fixieren, ist es, als würde man die linke Waagschale allein mit seinem darauf gerichteten Blick zusätzlich beschweren, auch wenn es für Außenstehende nicht sichtbar ist.

Ich hoffe, meine Metapher ist einigermaßen verständlich...^^

Liebe Grüße
Ina
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Wieder mal die Hälfte vergessen...

Das ist es jedenfalls, wovon ich mich abwenden möchte. Ich möchte das richtige, wahre Ergebnis sehen, wenn ich die Waage betrachte. Eine wichtige Voraussetzung, damit das gelingt, ist, denke ich, bereits gegeben: Auch wenn es sich hin und wieder so anfühlt (!), als wäre "alles" schlecht, weiß (!) ich immerhin schon mal, dass das nicht wirklich der Fall ist. Ich glaube, das ist es bei den wenigsten. Natürlich gibt es vereinzelte Tage oder Phasen, an / in denen so ziemlich alles schief läuft, was schief laufen kann. Das ist aber seltenst ein Dauerzustand, nur lässt man während solcher Phasen – in all seiner Melancholie und seinem Schmerz – leider das Positive außer Acht, ob man will oder nicht. Dann wirkt natürlich ALLES dunkel, trist und grau (oder schwarz).

Und Du hast recht, Kleo: Diese Momente des Glücks – die es höchstwahrscheinlich bei jedem von uns gibt, seien sie auch noch so klein und unscheinbar und eben nicht immer als solche wahrnehmbar – sind es, die uns zeigen, dass das Leben wertvoll ist. Und sie sind es auch, die uns nicht gänzlich die Hoffnung und Zuversicht verlieren lassen. Ich halte es für sehr wichtig, sich das immer mal wieder bewusst zu machen: Dass eben NICHT alles schlecht ist, sondern dass es durchaus auch noch gute Momente gibt. Denn wie soll man sonst den Mut aufrechterhalten, weiterzugehen? Und wie sollte man in diesem Weitergehen sonst einen Sinn erkennen? Um überhaupt weitergehen zu wollen (!), braucht man einen Sinn, zumindest ein kleines Ziel – aber ohne die Hoffnung, dass "es" besser wird, ist es schwierig, sich eines zu setzen. Hier gilt es also, sehr wachsam zu sein, um Glück, Freude oder andere positive Gefühle als das wahrzunehmen, was sie sind – und vorher noch: sich ihnen nicht zu verschließen! Menschen mit Depressionen haben ja leider nicht selten Schwierigkeiten damit, sich so etwas zuzugestehen bzw. sich selbst zu "erlauben", sich trotz allem auch mal gut zu fühlen, Dinge und Momente zu genießen oder aber sich etwas Gutes zu tun und in Eigeninitiative für schöne, wohltuende Erlebnisse zu sorgen.

Das ist der Grund, warum ich diesen Thread eröffnet habe: Ich brauche etwas, woran ich mich festhalten kann! Obwohl... Eigentlich lautet die Frage nicht: "Woran kann ich mich festhalten?", sondern: "WIE kann ich mich daran festhalten?" – schließlich gibt es ja immer wieder schöne Momente und ich muss nicht erst danach suchen bzw. welche kreieren (andererseits kann man natürlich nicht genug davon haben – umso mehr, desto besser!).

Ich finde Deinen Gedanken sehr wichtig und gut:

Zitat von: KleoTess in 15 Oktober 2018, 17:07:05
Manchmal hilft es nicht zu denken sondern wahrzunehmen.
Einfach die Augen öffnen, seine Umgebung wahrnehmen, die Menschen, Gerüche, Eindrücke.

Ein aufmerksamer, klarer Blick auf den Moment – Achtsamkeit für das, was gerade ist (oder hinter einem liegt) – ohne es zu "zerdenken" oder es bewerten zu wollen – ja, das hilft definitiv dabei, im Jetzt zu bleiben und der Depression (wenigstens für einen gewissen Zeitraum) die Macht zu entziehen, die Kontrolle über unsere Gefühls- und Gedankenwelt zu übernehmen.

Wäre sie doch nur nicht so stark – und das Nicht-Denken nicht so schwer!

Vorhin schrieb ich, dass ich bereits gelernt habe, mir Dinge bzw. Momente nicht mehr im Nachhinein schlechtzureden. Dem liegt zweifellos eine gewisse, erlernte Achtsamkeit für den Moment zugrunde. Ein Bewusstmachen des Erlebten, indem ich es noch einmal Revue passieren lasse – und wie anfangs beschrieben ein Festhalten dessen in schriftlicher Form, teils auch mit Hilfe von Fotos oder durch Gespräche darüber mit involvierten Personen, sofern es welche gab.

Meistens (zum Glück nicht immer) ist dieses Bewusstmachen und das (schriftliche) Festhalten aber nichts als ein ziemlich sachlicher Rückblick auf das Erlebte. Das damit verbundene positive Gefühl ist bis dahin oftmals schon vergangen – ich erinnere mich allenfalls daran...

"Nicht denken, sondern wahrnehmen", das klingt so gut – und ist doch so schwer! In aller Regel (aber auch hier: zum Glück nicht immer!) beginnen meine Gedanken wieder, sich zu drehen, sobald (oder kurz nachdem) es um mich herum still geworden ist und vermeintliche (!) Ruhe einkehrt. Oder – wenn ich es doch mal geschafft habe, nach schönen Momenten oder einem besonderen Erlebnis innezuhalten und das gute Gefühl eine Weile zu halten – so unvermittelt, dass ich sie schlichtweg nicht mehr abwenden kann. Ich wüsste jedenfalls nicht, WiE. Wenn die negativen Gedanken und Ängste einsetzen, ist es im Grunde schon zu spät...

Ich weiß zwar noch nicht, ob es in der Umsetzung funktioniert, aber ich werde mir Deine Worte ("Manchmal hilft es nicht zu denken sondern wahrzunehmen. Einfach die Augen öffnen, seine Umgebung wahrnehmen, die Menschen, Gerüche, Eindrücke.") beim nächsten Mal ganz bestimmt in Erinnerung rufen! Danke dafür!
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

hardworking fool

Hallo!

Das mit dem Glück ist wirklich ein spannendes Thema... Ich kannte mal einen Philosophen der meinte nur Narren würden versuchen das Glück festzuhalten. Womit ich quasi prädestiniert dafür bin hier auch meinen kleinen Beitrag zum Thema zu posten. ;-)

Er meinte auch, dass man das Glück gar nicht erkennt in dem Moment wo man glücklich ist sondern es erst bewusst wahrnimmt wenn es vorbei ist. Keine Ahnung ob ich das so unterschreiben würde. Der Gedanke hat irgendwie etwas von Goethes Faust: Sollt ich zum Augenblicke sagen, verweile doch du bist so schön, so möchte ich schnell zugrunde gehen. (Oder so ähnlich, hatte keine Lust das Zitat nachzuschlagen) - In dem Moment wo Faust das Glück erkennt wäre es nach dieser Aussage auch schon wieder entschwunden. Manchmal mag es uns so vorkommen, aber ich glaube schon, dass wir fähig sind das Glück zu spüren wenn es uns begegnet.

Die Frage ist ob Menschen mit Depressionen wirklich grundsätzlich unfähig sind Glück zu erleben. Es mag schwerer sein, aber ich finde doch, dass diese wenigen kostbaren Momente unendlich viel wertvoller sein können:
Wer immer im hellen Tageslicht herumläuft wird eine kleine Kerzenflamme nicht zu schätzen wissen.
Derjenige aber, der in einer dunklen Höhle sitzt wird dieses kleine Licht als wahren Schatz begreifen.

Natürlich gibt es viele Situationen in denen uns der Gedanke quält "normalerweise wäre ich jetzt glücklich" - aber auch da halte ich es für wichtig sich bewusst zu machen, dass die Situation positiv ist auch wenn wir das Glück vielleicht nur durch einen Schleier sehen.
So geht es mir oft beim Betrachten von Blumen. Ich weiß, dass mich ihr Anblick erfreuen "müsste" aber manchmal tut er das einfach nicht. Dann ist es wichtig mir zu vergegenwärtigen, dass die Blumen schön sind auch wenn ich sie manchmal nicht zu schätzen weiß.

Keine Ahnung ob das irgendeinen Sinn für Euch macht. Wenn nicht könnt ihr euch damit trösten, dass es nur die Gedanken eines Narren sind. :-P

Liebe Grüße vom Fool

Ina

 
Hallo liebe Fool,

auch Dir vielen Dank für Deinen Beitrag! :)


Zitat von: hardworking fool in 17 Oktober 2018, 07:00:36
Ich kannte mal einen Philosophen der meinte nur Narren würden versuchen das Glück festzuhalten.

Dann bin ich wohl auch ein Narr. ;) Nein, ich denke, gerade unter den traurigen Seelen – damit meine ich diesem Falle Menschen mit Depressionen – finden sich viele, die diesen Wunsch hegen. Und zwar aus ebendiesem Grunde: Weil sie meist traurig, melancholisch oder lethargisch sind und sich an die wenigen positiven Momenten und schönen Gefühle klammern, um sich "über Wasser zu halten".

Sein Glück festhalten zu wollen, sehe ich als etwas rein Positives, denn es zeigt, dass man seinen Zustand nicht einfach so hinnehmen möchte, wie er ist, auch wenn die Depression einen auf lange Sicht durchaus dazu verleiten kann. Zwar zeugt dieser Wunsch einerseits von Schwermut und entsteht zumeist aus einer gewissen Verzweiflung heraus, doch spricht er auch dafür, dass man sich nicht er- und aufgibt, nicht in Trauer oder gar Selbstmitleid versinken möchte und den Stillstand nicht weiter akzeptieren will.


Zitat von: hardworking fool in 17 Oktober 2018, 07:00:36
Er meinte auch, dass man das Glück gar nicht erkennt in dem Moment wo man glücklich ist sondern es erst bewusst wahrnimmt wenn es vorbei ist. Keine Ahnung ob ich das so unterschreiben würde.

Ich würde es so NICHT unterschreiben. Ich bin durchaus (noch?) fähig, einen glücklichen Moment als solchen wahrzunehmen und zu erleben, also auch in dem Moment selbst. Vielleicht war es anders gemeint: Leider ist es ja oft so, dass man sich an bestimmte Gegebenheiten oder Menschen gewöhnt und es irgendwann schon als selbstverständlich hinnimmt, dass es so ist. Wenn sich dann aber etwas ändert, merkt man erst, wie "gut" man es eigentlich hatte. Wenn bspw. der Partner oder eine gute Freundin plötzlich nicht mehr da ist, vermisst man ihn / sie plötzlich schmerzlich – erkennt, wie viel einem dieser Mensch eigentlich gegeben hat und wie schön die Verbindung war und dass es eben NICHT selbstverständlich ist, einen Menschen an seiner Seite zu haben, der zu einem passt, einem ähnlich ist, einen zu schätzen weiß und dem nicht nur das eigene Wohl am Herzen liegt usw.

Meistens ist es dann leider schon zu spät. Das möchte ich unbedingt vermeiden und achte seit einigen Jahren sehr darauf. Für mich hat es viel mit Dankbarkeit und Wertschätzung zu tun. Dankbar zu sein – ehrlich und von Herzen – musste ich erstmal lernen (!). Das Forum bzw. einige User haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich das heute kann. Ich schätze das, was ich habe (insbesondere die Menschen an meiner Seite) und bringe meine Wertschätzung anderen gegenüber auch gerne zum Ausdruck. Das ist mir wichtig – und zudem sind die Momente, in denen ich ehrliche Dankbarkeit empfinde ebenso Momente des Glücks und der Freude.


Zitat von: hardworking fool in 17 Oktober 2018, 07:00:36
Die Frage ist ob Menschen mit Depressionen wirklich grundsätzlich unfähig sind Glück zu erleben.

Mir stellt sich diese Frage nicht. Ich sehe es ja an mir selbst, aber auch an anderen und auch hier im Forum. Ich denke, der Unterschied liegt in der Intensität, der Dauer und sicher auch in der Häufigkeit. Sich noch freuen zu können, glückliche Momente zu erleben und auch mal Spaß zu haben, sind nicht unbedingt Ausschlusskriterien für eine Depression. Während einer depressiven Episode ist das sicher oft so, klar – so kenne ich es auch von mir selbst. Dann sind mir Freude, lachen und jegliche schöne Empfindungen Fremdworte und es gibt nur noch Trauer, Seelenschmerz und Verzweiflung oder aber völlige Gleichgültigkeit.

Für einen Depressiven ist es nur deutlich schwerer, das Gute und Schöne wirklich zu fassen und als solches anzuerkennen und anzunehmen – und wenn er es schafft, vergeht es meistens recht schnell... Dazu habe ich ja schon einiges geschrieben.


Zitat von: hardworking fool in 17 Oktober 2018, 07:00:36
Natürlich gibt es viele Situationen in denen uns der Gedanke quält "normalerweise wäre ich jetzt glücklich" - aber auch da halte ich es für wichtig sich bewusst zu machen, dass die Situation positiv ist auch wenn wir das Glück vielleicht nur durch einen Schleier sehen.

Ich sehe es genauso und halte es ebenfalls für wichtig (s.o.). Die nächste "Stufe" – und um die geht es mir in diesem Thread – ist dann vermutlich, dass man seine Wahrnehmung jener Momente, die man OHNE den trüben Schleier der Depression erlebt hat, länger "hält".

Mir graut vor den nächsten Monaten, denn ich weiß, dass es keine leichten für mich werden und mir die Depression jetzt schon auf den Fersen sitzt – mit der Keule in der Hand, nur darauf wartend, zuschlagen zu können... Gerade deswegen, aber auch generell, möchte ich mir das nötige Rüstzeug aneignen, mit dem ich das Risiko eines Absturzes verringern kann. Ach, ich würde einfach so gerne von diesen Momenten zehren können... Ich wünsche mir, dass das Glück länger anhält; möchte nicht von der Depression dazu "gezwungen" werden, es loszulassen, sobald der entsprechende Moment vergangen ist – um mich dann so zu fühlen, als hätte es ihn nie gegeben... Bestimmt kann man das irgendwie lernen – irgendwelche Strategien und Methoden gibt es sicherlich. Oder es ist das traurige Los des Depressiven, dass es ihm einfach nicht möglich ist, längerfristig von den wenigen guten Erlebnissen zu zehren und Kraft daraus zu ziehen... Daran möchte ich aber nicht glauben.


Liebe Grüße und einen schönen Sonntag allen!

Ina
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Gestern habe ich einen Blog gelesen und dort einen Gedanken gefunden, der mich seitdem beschäftigt: Der Autor schrieb, er würde das grundsätzliche Sich-gut-Fühlen nicht vom gelegentlichen Sich-schlecht-Fühlen abhängig machen.

Das klingt gut! Aber wie geht das?

Ich weiß, die meisten von uns kennen gar kein grundsätzliches (!) Sich-gut-Fühlen. Bei uns ist es wohl eher umgekehrt: Die Grundstimmung ist schlecht / traurig / depressiv und die Momente, in denen wir uns gut fühlen, sind schon fast sowas wie kleine "Highlights", von denen es eben nicht allzu viele gibt. Dennoch: Einige von uns haben auch immer wieder Phasen, in denen es ihnen vergleichsweise (!) gut geht – Tage, Wochen oder sogar Monate, in denen sie sich deutlich besser fühlen (auch wenn "gut" wohl immer noch etwas anderes ist) und es ihnen ein bisschen leichter fällt, den Alltag zu bewältigen.

Wenn ich mal von einer solchen Phase ausgehe: Wie schafft man es, sich von kleinen Stimmungseinbrüchen nicht gleich wieder komplett runterziehen zu lassen? Wenn z.B. irgendetwas "Blödes" vorgefallen ist oder man einen Tag hatte, an dem einiges schief gegangen ist oder man sich an etwas Trauriges / Schmerzhaftes erinnert hat o.ä... Also nichts, was wirklich "dramatisch" ist – eher "Kleinigkeiten", die jeder (!) zuweilen erlebt, ganz gleich ob er depressiv oder "gesund" ist. Mir scheint, als wäre es bei ganz vielen so, dass sie so etwas dann gleich wieder völlig aus der Bahn wirft und das Sich-gut-Fühlen sogleich beendet ist, obwohl es eigentlich gar nicht sein "müsste", weil alles / vieles andere bis dahin doch vergleichsweise recht gut lief.

Ist es einem Depressiven, selbst wenn er gerade NICHT in einem akuten Tief steckt, überhaupt möglich, dieses Sich-gut-Fühlen dann trotzdem aufrechtzuerhalten? Sich daran FESTzuhalten? Oder ist es nun mal das Schicksal jener Menschen, die unter chronischen oder rezidivierenden Depressionen leiden, dass sie dazu nicht fähig sind? Ist es vielleicht erst möglich, wenn sie sich auf dem Wege der Genesung – so es denn überhaupt dazu kommt – befinden bzw. ist es ein Schritt auf ebendiesem Weg?

Ich weiß, darauf gibt es keine pauschale Antwort, die für jeden Betroffenen gilt, aber ich möchte meine Gedanken gerne hier festhalten, da sie gut zum Thema passen. Es ist wohl sehr individuell, vom Menschen abhängig und sicher auch eine Frage der Intensität der Erkrankung, des Erkrankungsbildes an sich, der aktuellen Belastbarkeit und Stabilität und vielleicht auch des "Entwicklungsstandes" (nutzbare Ressourcen, erlernte Strategien, Willenskraft, innere Einstellung usw.).
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)