Freund in depressiver Phase

Begonnen von sami, 11 September 2018, 17:33:03

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sami

Hallo,

mein Freund - für mich die Liebe meines Lebens - hat (wahrscheinlich) eine depressive Phase, will sich trennen, dann doch wieder nicht, meldet sich nun nicht mehr und ich weiß einfach nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll.

Die Randdaten in Kürze: Wir sind seit 1 Jahr zusammen, ich 40, er 39, wir waren sehr schnell sehr eng, wussten schnell, dass der andere der Richtige ist. Wir hatten Familienplanung, wollten nächstes Jahr zusammenziehen (erst dann, weil dann mein Sohn dort, wo mein Freund lebt, in die Schule kommen sollte). Waren gerade zusammen im Urlaub, drei Wochen, 24 Stunden zu dritt (mit Kind) zusammen. Davor und danach hatte er beruflichen Superstress. Und Eltern, die ihn unter Druck setzen. Wir haben außerdem gehäuft gestritten und ich habe ihn ebenfalls (natürlich nicht gewollt sondern unbewusst) unter Druck gesetzt.

Wir hatten dann vor drei Wochen einen erneuten großen Krach (ich habe ihn unter druck gesetzt, er hatte beruflich Stress). Und seitdem will er nur noch alleine sein. Er geht morgens in seinen Laden (im gleichen Haus), an den freien Tagen fahrradfahren, sonst sitzt er auf der Couch in der chaotischen Wohnung.

Wenn ich ihm schreibe, ich brauche Kontakt zu ihm uns sage, das kann er nicht machen antwortet er mir "Ich kann das alles nicht mehr".

Wenn ich ihm liebe Worte schreibe, er soll sich die Zeit nehmen, die er braucht, ich bin da für ihn und so weiter, meldet er sich nicht zurück.

Bei unserem Treffen letzten Mittwoch fragte ich ihn, ob wir uns bald sehen. Er: "Ja!" Kann ich Dir da vertrauen? Er: "Ja!" Wir hatten dann Samstag in den Raum gestellt. Ich fragte Freitagabend, ob er mit mir essen gehen will. "Ich kann nicht." Ich hab dann sauer reagiert, ich vermisse ihn, er soll mich so nicht behandeln und so weiter. Dann er wieder: "Ich kann das nicht mehr!"

Nun ist es also so:

- Er ist sauer, wenn ich einfach auftauche.

- Dennoch sehe ich ihm an, dass er aufblüht, wenn ich auftauche.

- Er selbst meldet sich nicht von alleine.

Der Zustand ist nun so seit drei Wochen, seit drei Wochen schläft er zu Hause (zuvor waren wir fast täglich zusammen). Ich habe mich viel bei ihm gemeldet. Zuletzt nur noch mit netten Nachrichten, Grüße vom Kindergartentreffen (zu dem er auch kommen wollte), Grüße von einem anderen Ort, den wir beide kennen, "ich bin für Dich da", "Du kannst Dich immer melden", "nimm Dir die Zeit, die Du brauchst".

Ich habe nun aber Angst, dass wir uns verlieren. Er steigert sich in solchen Situationen in die Probleme hinein, findet selbst keinen Ausweg. Den fand er immer mit meiner Hilfe. Aber die will er gerade nicht annehmen.

Wie kann ich denn weiter vorgehen? Wie sind eure Erfahrungen? Soll ich ihm weiter nette Nachrichten schreiben? Soll ich gar nichts mehr schreiben, sondern ihn wirklich ganz ohne Kontakt in Ruhe lassen. Wie lange denn? Ich halte diese Situation kaum mehr aus. Wenn ich aber sicher wüsste, wir trennen uns nicht, sondern es ist nur eine schwere Phase, wäre es okay für mich. Dann stehe ich gerne zu ihm und warte einfach ab. Ich weiß aber auch, dass es für ihn am einfachsten wäre, sich zu trennen..... Und ich erwarte auch fast, dass er das plant zu tun. Einfach nur, weil er keinen Ausweg weiß. Und das macht mich fertig, weil es ein großer Fehler wäre.

Wenn ich sicher wüsste, es wäre das Beste für uns beide, würde ich mich trennen. Das ist aber nicht so. Kann er das in dieser Phase überhaupt erkennen? Sieht er nicht nur die Streits, die wir hatten? Den Stress?

Wie kann ich ihn dabei unterstützen, wieder zu sich selbst zu finden?

Da er täglich arbeiten geht und auch ab und zu Power-Radfahren, denke ich nicht, dass es eine ganz schwere depressive Phase ist. Aber eine Phase ist es denke ich dennoch.

sami

Ich habe das Wichtigste vergessen: Er hatte vor einigen Jahren (glaube so um die 10) eine diagnostizierte Depression plus Burnout, war lange in Behandlung.

Er sagte mir vor einigen Wochen, er verändert sich in eine Richtung, die ihm Sorgen macht. Wir haben aber beide (leider) nicht weiter darüber gesprochen. Ein großer Fehler, ich weiß. Ich hätte das als kleinen Hilferuf bemerken müssen, etwas zu ändern. Aber ich hatte selbst Stress. Und ich kenne diese Seite an ihm eben auch noch nicht.

Ina

 
Hallo sami,

herzlich willkommen im Forum! Ich finde es schön, dass Du Dich an uns wendest und um Rat fragst, denn das zeigt, dass Dir Dein Partner wirklich am Herzen liegt.

Die Situation, die Du schilderst, ist schwierig – und sowieso ist es nicht leicht, einen Depressiven in einer akuten Krise (so nenne ich es einfach mal) zu verstehen, wenn man selbst nicht betroffen ist und diese Zustände und die damit einhergehenden Gedanken und Gefühle nicht kennt. Vieles davon lässt sich nämlich nicht rational begründen.

Vielleicht ist Dein Freund jemand, der grundsätzlich viel oder zumindest regelmäßig Zeit für sich braucht, um sich zwischendurch innerlich "ordnen" zu können und zur Ruhe zu kommen. Daher könnte es sein, dass der dreiwöchige Urlaub einfach zu viel für ihn war und ihn überfordert hat, zumal es ja auch vorher schon Anzeichen einer depressiven Episode gegeben hat. Häufiger Streit und Stress mit dem Menschen, der einem nahesteht, tragen natürlich noch zusätzlich dazu bei, dass es einem nicht gut geht und das Ruhebedürfnis groß ist.

Sollte er sich übermäßig in die Arbeit stürzen und der berufliche Stress darauf beruhen, könnte es eine Art "Flucht" sein. Es trifft nicht auf jeden zu, aber ich habe schon sehr oft gehört oder miterlebt, dass es als Weg gesehen wird, den eigenen, quälenden Gedanken zu entkommen. Viel zu tun haben, permanente Ablenkung (muss natürlich nicht auf der Arbeit sein – sich möglichst viel mit irgendwelchen Dingen beschäftigen, kann man auch auf andere Weise), nur nicht "zu viel" denken und fühlen... So kenne ich es auch von mir selbst, wenn es mir besonders schlecht geht.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es Dich belastet und Dir Angst macht, dass Dein Freund sich zur Zeit so rar macht und stark zurückzieht. Deine Frage, ob er momentan eigentlich noch etwas Positives (zwischen Euch) sehen kann oder sich in erster Linie auf seine / Eure Probleme fixiert, ist absolut berechtigt. Denn leider ist es ein häufiges und typisches Symptom der Depression, dass der Betroffene in schweren Phasen kaum noch etwas Gutes erkennt und ihm alles dunkel, farblos und sinnlos erscheint. Als würde eine dicke, schwarze Wolke die Sicht verschleiern... Nicht leicht, als Außenstehender etwas daran zu ändern.

Es ist auf jeden Fall schon mal gut, dass Du ihm zu verstehen gibst, dass Du für ihn da bist und er sich jederzeit bei Dir melden kann, wenn er Dich braucht. Und es ist auch richtig, ihm dennoch seine Ruhe zu lassen, denn wenn es "zu viel des Guten" ist, fühlt er sich möglicherweise nur bedrängt, auch wenn das keinesfalls Deine Absicht ist. Natürlich kann ich Deinen Freund nicht einschätzen, ohne ihn zu kennen – jeder Mensch ist anders – aber mir würde es in einer solchen Situation gut tun, wenn mein Partner nicht nur sagt, dass er da ist, wenn ich ihn brauche, sondern mir auch ganz deutlich sein Interesse an meinem Gefühlszustand signalisiert. Damit meine ich, dass er auch mal konkret, aber ohne Druck nachfragt, wie ich mich fühle, was in mir vorgeht, was genau mich beschäftigt und belastet. Mir fällt es dann leichter, mich zu öffnen und zu reden. Und wenn ich dies tatsächlich schaffe, hilft es mir eher, wenn er einfach zuhört, sich anschließend Gedanken dazu macht und später nochmal darauf zurückkommt, als wenn er umgehend irgendwelche "Lösungen" und gut gemeinten Ratschläge hat (Damit möchte ich nicht sagen, dass DU das so handhabst – ich spreche gerade wirklich nur von mir!). Ehrliches Interesse, Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, sich ernsthaft mit meinen Gedanken auseinanderzusetzen und mich zu verstehen – das brauche ich in solchen Phasen.

Vielleicht ist es bei ihm ähnlich und Du magst es mal auf diese Weise probieren?

Einen letzten Rat habe ich noch für Dich: Schreib ihm keine Nachrichten, sondern ruf ihn an! Auch wenn diese Form der Kommunikation offenbar nicht mehr zeitgemäß ist (es wird jedenfalls immer weniger...), macht es doch noch einen großen Unterschied, ob man ein paar nette Zeilen liest oder die vertraute Stimme der / des Liebsten hört! Letzteres würde mir persönlich sehr viel mehr bedeuten.

Alles Gute und viel Mut wünsche ich Dir! Ich hoffe, Ihr findet wieder einen Weg zueinander.

Ina
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

sami

Vielen Dank für Deine liebe Antwort.

Es ist alles nicht so einfach. Meine letzten Nachrichten habe ich ihm per Video geschickt (also ein Video aufgenommen und per Whatsapp an ihn geschickt), weil mir das Getippe viel zu unpersönlich war. Eine Antwort habe ich nie erhalten.

Wenn ich Anrufe, nimmt er nicht mehr ab.
Vor ein paar Tagen war ich bei ihm, er wohnt eine Zugfahrt weit weg (etwa 40 Minuten), er hat die Türe nicht aufgemacht, meinen Schlüssel hatte ich vergessen. Ich denke es ist eine Mischung aus sauer auf mich sein (weil er gesagt hat, er will seine Ruhe) und tatsächlich alleinesein wollen (also die depressive Phase). Er ist recht schnell sauer.

Ich komme gerade null an ihn ran.
Ich bin mir einfach nicht sicher, ob das der richtige Weg ist, null Kontakt zu haben.
Ich habe mich jetzt seit Sonntag nicht mehr bei ihm gemeldet und habe beschlossen, heute Abend nochmals hinzufahren. Was zu kochen, mitzubringen, dann zu klingeln und aber den Schlüssel dabei zu haben.

Ich befürchte, es überrumpelt ihn. Aber ich möchte ihn einfach mal wieder anlächeln und ihn den Arm nehmen.

Ist das zu viel?
Ich habe einfach keine Ahnung, wie ich weiter damit umgehen soll.

Ein Brief finde ich generell super. Aber ich habe in den drei Videos (auf die ich nie eine Antwort bekam) schon so viel gesagt, dass eigentlich all das gesagt ist. Soll ich alles nochmal und nochmal ganz vorsichtig und ohne Druck im Brief wiederholen?

liveanddie

Hallo Sami,
aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich Dir raten, den persönlichen Kontakt zu Deinem Freund zu meiden. Er macht im Moment sicher sehr viel durch. In diesem Zustand ist es oft so, das man niemanden sehen möchte sogar die engsten Vertrauten nicht. Du hast ihm Hilfe angeboten, mehr kannst Du leider nicht für Ihn tun. Einen Brief ist sicherlich eine gute Lösung, der sollte aber sehr sensibel geschrieben sein und vor allem ohne Vorwürfe.
Ich hatte mich nach 24 Jahren wegen meiner Depression getrennt, ich wollte niemanden mehr um mich haben. Das ist schlimm, was diese Krankheit aus einem macht.
Ich wünsche Dir sehr, das Dein Freund wieder daraus kommt und Er den Weg wieder zu Dir findet.
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft.