Selbstverletzendes Verhalten

Begonnen von LeereSeele, 17 Juli 2018, 20:52:51

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LeereSeele

Hallo,
ich hoffe es ist okay wenn ich dieses thema anspreche. Ich habe vor 4 Monaten angefangen mich zu ritzen.
Erst "relativ harmlos" und inzwischen ist eine deutliche Steigerung zu merken. Ich mache es aus Verschiedenen Gründen und weiß auch dass es nicht die Lösung ist. Ich brauche es um mein Leben zu bewältigen ...
Es gibt viele Skills die Abhilfe bringen sollen, das Problem nur ich merke dass ich genau diese Schmerzen brauche die ich dabei/danach empfinde und sie deshalb nichts nützen!?  Haltet mich bitte nicht für irre, ich weiß es hört sich dämlich an. Ich wollte nur wissen ob es anderen auch so geht, oder ging. Wenn ihr da raus gekommen seit wie habt ihr es geschafft?

Ina

 
Hallo LeereSeele,

erstmal willkommen im Forum!

Mit "irre sein" hat das nichts zu tun und es hört sich auch nicht dämlich an. Ich glaube, wer sich über einen längeren Zeitraum mehr oder weniger regelmäßig bzw. häufig selbstverletzt (hat), wird das Gefühl, diesen Schmerz zu brauchen, nachempfinden können. Ich habe es damals jedenfalls ähnlich empfunden: Bis vor circa zehn Jahren habe ich mich auch selbstverletzt; phasenweise fast jeden Tag, dann wieder monatelang gar nicht. Auslöser waren Probleme, die (mir) unlösbar schienen, akute Belastungssituationen (z.B. wenn ich mich seelisch von jemandem verletzt gefühlt habe oder schwer enttäuscht wurde), sonstige Situationen, mit denen ich nicht umzugehen wusste oder die mir große Angst gemacht haben, oder andere Gründe, welche meine Depression verstärkt haben. Kurz gesagt: Situationen, die in meiner damaligen Verfassung "zu viel" für mich waren, mich überfordert haben und mir das Gefühl gaben, "das alles" nicht ertragen zu können.

Selbstverletzung war eine Form von Druckabbau, ein Reduzieren der inneren Anspannung und zum Teil sicher auch sowas wie "Selbstbestrafung", wenn ich mal wieder in Selbsthass versunken bin. Die pure Verzweiflung. Ich dachte, ich bräuchte diesen Schmerz, um nicht durchzudrehen. Skills haben mir nur bedingt geholfen (was mich noch zusätzlich verzweifeln ließ, da ich so oft von anderen gehört habe, dass sie ihnen eine große Hilfe seien!) oder haben irgendwann nicht mehr gereicht, da ich dem seelischen Druck und gewissen Anforderungen, die das Leben an mich gestellt hat, damals noch nicht gewachsen war. Ich war einfach nicht gefestigt genug und es mangelte enorm an Selbstvertrauen und -bewusstsein.

Mittlerweile brauche ich es nicht mehr. Waren es auch nicht die "typischen" Skills, ließen sich doch andere Methoden finden, mit Belastungssituationen, die zu Druck, Stress und Überforderung geführt haben, umzugehen. Zum einen war es die Musik: Ich habe mir den Schmerz "von der Seele gesungen" – für mich ein wahres "Wundermittel"! Mir wurde bewusst, dass es ganz wichtig ist, meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das habe ich nämlich lange Zeit nicht getan – und so war es eigentlich nicht verwunderlich, dass ich den Eindruck bzw. die Befürchtung hatte, ich könnte vor Schmerz und Überlastung jeden Moment platzen. Es hatte sich über Jahre vieles in mir aufgestaut und das musste dringend "raus"!

Ich habe mich ans Keyboard gesetzt und einfach drauflos gespielt, habe sehr persönliche Texte geschrieben und passende Melodien komponiert (auch mithilfe von Notensatz- und Musik-Programmen), die zu Liedern wurden, auf die ich stolz war, wenn sie fertig waren. Ich habe Gedichte und viel Tagebuch geschrieben, Bilder gemalt oder mich auf andere Weise künstlerisch betätigt – und alles war Ausruck dessen, was in mir vorging. Das Gute daran war (oder ist), dass es deutlich länger nachgewirkt hat, da ich etwas "in der Hand" hatte. Ein Gedicht z.B.: Das konnte ich auch später noch lesen, es schön finden und eventuell auch ein bisschen stolz darauf sein – oder es anderen zeigen und hören, was sie davon halten.

Darüber hinaus habe ich viel mit Menschen geredet, zu denen ich Vertrauen hatte. Menschen, die sich mit ähnlichen Problemen herumgeschlagen haben, mir in meiner Denkweise geähnelt haben oder aber Denkanstöße geben konnten, die mich wirklich zum Nachdenken angeregt und damit einiges in mir verändert haben. Menschen, die aufmerksam zugehört und mir Verständnis und ehrliches Interesse entgegengebracht haben. Menschen, an die ich mich auch in Krisen wenden konnte und die mich geschätzt haben, wie ich bin, und mich genauso angenommen haben, "obwohl" ich einen Haufen Probleme hatte und mit mir selbst nicht klargekommen bin. Ich "musste" mich vor ihnen nicht verstellen und sie haben mir nie das Gefühl gegeben, meine Traurigkeit sei "unerwünscht". Insbesondere hier im Forum habe ich viele dieser Menschen kennengelernt! Auch hierbei ging es also darum, meinen Schmerz nicht hinunterzuschlucken, sondern auszudrücken, in Worte zu fassen oder mich auf irgendeine andere Weise mitzuteilen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt: Man muss nicht alles mit sich selbst ausmachen!

Im Laufe der Zeit habe ich also festgestellt, dass es durchaus andere, bessere (!) Wege gibt, mit schwierigen Situationen umzugehen – und dass ich viel mehr aushalten kann, als ich damals glaubte. Zwar habe ich es nur noch selten gemacht, aber komplett frei von SVV bin ich dennoch erst seit ungefähr sechs Jahren. Letztlich war es die Liebe, die mir den (ernsthaften) Willen geschenkt hat, aufzuhören, und mir gezeigt hat, dass ich ganz viel Stärke in mir trage, die ich bis dahin weder erkannt, noch mir selbst zugetraut hatte.

Mein Liebster nimmt ich an, wie ich bin und liebt nicht nur meine Stärken und mein Lächeln. Er weiß um Teile meiner Vergangenheit, um meine Depressionen und Ängste. Weder verurteilt er mich dafür, noch reduziert er mich darauf – anstatt mir meine Schwächen und "Fehler" vorzuhalten, stellt er eher meine Talente und positiven Eigenschaften in den Vordergrund und zeigt mir dafür sehr viel Anerkennung. Seine Wertschätzung (meiner ganzen Person) hat mir damals sehr geholfen, mich selbst besser anzunehmen. Somit habe ich auch gelernt, mich als liebenswert zu betrachten – und jemandem, der es wert ist, geliebt zu werden, fügt man nicht absichtlich Schmerzen zu.

Und nachdem er irgendwann – ich glaube, da kannten wir uns noch nicht mal ein halbes Jahr – sehr deutlich sagte: ,,Ich will das nie wieder sehen!", habe ich es nie wieder getan. Er konnte damit nicht umgehen, konnte es nicht ertragen, dass sich die Frau, die er liebt, während seiner Abwesenheit weh tut. Dass er das so gesagt hat, war für mich tatsächlich (mit) entscheidend und Grund genug, es nicht wieder zu tun. Schließlich will ich unter keinen Umständen negative Gefühle in ihm auslösen oder dass er Angst um mich hat! Da greife ich doch lieber auf die Methoden zurück, die im Grunde doch viel wirksamer sind, um mich sozusagen über Wasser zu halten. Mir wurde durch seine Worte außerdem einiges bewusst, was ich vorher nicht sehen konnte.

Nun werden bestimmt einige sagen: ,,Aber dann tust du es ja für ihn und nicht für dich!". Ja, ganz sicher tue ich es auch (!) für ihn, in erster Linie aber doch für mich selbst. Das Wichtigste ist doch, dass es mich in meinem Handeln positiv beeinflusst. Für mich ist es zusammen mit den oben genannten Punkten ein guter Weg, der mich im Umgang mit mir selbst nachhaltig unterstützt, denn dadurch, dass ich nun seit Jahren ohne selberverletzendes Verhalten "ausgekommen" bin, weiß ich ohne jeden Zweifel, dass es eben auch anders geht und ich stark genug bin – und ich weiß ebenso sicher, dass ich auch zukünftig jederzeit auf andere Möglichkeiten zurückgreifen kann und werde.

Man muss sich wohl auch bewusst machen und eingestehen (!), dass SVV im Grunde überhaupt nicht effektiv ist. Es bringt nichts. In dem Moment selbst scheint es zu "helfen", da es Druck und Anspannung senkt und man die Situation besser erträgt. Aber dieses Gefühl verfliegt recht schnell und man hat den Drang, es erneut zu tun. Solche Situationen / Auslöser wird es aber immer wieder geben – und selbstverletzendes Verhalten kann daran nichts ändern. Die Probleme bleiben bestehen. Es ist so, als würde jemand, der aufgrund einer dauerhaften, schlechten Körperhaltung starke Rückenschmerzen hat, Schmerztabletten einnehmen, aber sonst nichts dagegen tun. Die Tabletten unterdrücken den Schmerz, aber er wird immer wiederkommen. Zuerst muss die Ursache erkannt werden; dann eine demgemäße Behandlung erfolgen.

Ich glaube, das Erkennen der Auslöser von SVV ist sehr wichtig. Denn so kann man am besten daran arbeiten und alternative Methoden und Strategien entwickeln, mit ebendiesen Auslösern und den daraus resultierenden Gefühlen umzugehen. Bei mir ist und war es, wie gesagt, zum einen das Annehmen meiner Selbst, zum anderen ein bewussterer Umgang mit mir und meinen Gedanken und Gefühlen, was sich als hilfreich erwiesen hat. Und ich muss ausdrücken, was in mir vorgeht und mich quält! Entweder nur für mich im stillen Kämmerlein (künstlerisches Schaffen usw.) oder durch Gespräche mit feinfühligen, verständnisvollen Menschen. Sicher würde das nicht jedem helfen – ich denke, da muss jeder etwas finden, was wirklich zu ihm passt.

Zudem bin ich mir mittlerweile recht sicher, dass es auch eine Frage der Einstellung ist: Wenn ich sage ,,Es gibt außer diesem Schmerz nichts, was mir hilft!", kann ich nicht weiterkommen. Vonnöten ist die ernstliche Bereitschaft, die Dinge anders zu bewältigen – und dafür muss man meiner Meinung nach genau eruieren, wie / wann / warum es überhaupt zum selbstverletzenden Verhalten kommt und dementsprechend in die Tiefe gehen und an sich arbeiten. Das lässt sich auch auf viele andere (problematische) Bereiche des Lebens übertragen!


Lieben Gruß
Ina
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

LeereSeele

Hallo Ina,

Vielen lieben Dank für deine Antwort und die liebe Begrüßung. Ich finde mich sehr in dem wieder was du geschrieben hast. Für mich ist SV auch Bestrafung und ich drücke meinen Selbsthass aus. Irgendwie habe ich auch das Gefühl dass es mich am leben hält, denn die Selbstmordgedanken werden immer massiver. Allerdings wenn ich bedenke dass es in der geschlossenen angfangen hat wo ich freiwillig hin bin um mich zu schützen. Aus einer Konfliktsituation heraus (mit mir selbst) hab ich das erste mal so gehandelt wie auch immer ich auf diese Idee kam. Das war für mich völliges Neuland.

Ich finde es toll dass du den Weg dort raus geschafft hast. Das du einen Partner hast der dich liebt und akzeptiert ist sicher eines der besten Heilmittel. Dass du deine SV mit kreativen "verhindert" hast (sorry kann mich grad nicht so richtig ausdrücken) ist toll.

Eigentlich bin ich selbst ein sehr kreativer Mensch habe aber seit einigen Monaten mein Interesse daran völlig verloren. Meine Freundinnen wissen von meiner SV, verstehen es aber nicht ... aber das würde ich auch nicht tun. Reden könnte ich mit ihnen. Allerdings ist auch das ein Problem, denn ich ziehe mich komplett zurück und melde mich kaum noch.

Entschuldige jetzt habe ich irgendwie was geschrieben was nicht zusammen gehört.

Stehe einfach nur noch neben mir.

Liebe Grüße





























Mickie

Huhu LeereSeele,

ich bin die Mickie inzwischen die 40 überschritten und habe viele Jahre geritzt und auch sonstige Wege der SVV genutzt und immer mit dem Leben gespielt. Angefangen habe ich auch mal aus einer Laune raus, irgendwer schrieb irgendwo es tut gut.

Weisst egal was andere Denken, gerade ist dein Verhalten dein Ausdruck zum Leben so wie es ist will ich es nicht, ertrag ich es nicht. In dir weisst so wie wohl jeder der es tut, gut ist es nicht, ist bissl so wie Rauchen, Drogen, Alkohol jeder weiss es wie schädlich es ist, aber wenn man einmal verfallen ist das es gut tut.... schwupps ist die Sucht da.

Als ich damals aufhören sollte SVV zu begehen, hab ich gesagt kein Problem. ich habe tatsächlich nimmer geritzt aber ich habe verlagert und einfach anderswo mein Leben herausgefordert, eine wirkliche Änderung in meinem Verhalten habe ich erreicht, als ich genau angeschaut habe, wann und warum tue ich es, welche Emotion veränder ich damit und welche Möglichkeiten habe ich noch.

Als ich deinen Beitrag las dachte ich, geh langsamer deine Wege kümmer dich um dich und sorge dafür das es dir besser geht und gestehe dir ein, das gerade die Welt sich für dich langsamer dreht als der Rest der Welt.

Lieben Gruss

Mickie

LeereSeele

Hallo Mickie,

lieben Dank für deine Antwort.

Ich gebe dir völlig Recht, mein Leben ist grad einfach nicht zu ertragen ... obwohl ich eher grade mich selbst nicht ertragen kann.
Ja man kann sagen dass ich auch so meine wut, Hilflosigkeit ausdrücke, aber ebend auch spüre ich bin noch da. Was ich aber ganz stark merke dass es wirklich wie eine Sucht ist und selbst wenn es mir mal besser geht , der Blick auf die Arme und schon passiert es.
Irgendwo hoffe ich dass mein Leben wieder besser wird und meine Gedanken verschwinden.

wahrscheinlich ist die Frage zu direkt aber darf ich wissen wie alt du warst als du angefangen hast? Ich überlege warum ich jetzt mit
35 angefangen habe. Meine Probleme habe ich doch schon viele Jahre, auch in der Kindheit/Jugend

Liebe Grüße
LeereSeele

Mickie

Angefangen habe ich da war ich jünger als du, so mit Mitte 20.

Aber die Probleme an sich finden in der Kindheit und Jugend an bzw. dort wurde der nicht zu reparierende Schaden angerichtet der ein Ventil braucht. In einer Gesellschaft wo man zu sein hat, zu funktionieren hat, es Dinge nicht zu geben hat etc.  sucht der Mensch sich seinen Weg um darin zu überleben, viele Möglichkeiten sind dabei gut und daneben gibt es Techniken die haben einen Sinn, aber sind zeitgleich schädlich für einen selbst.
Irgendwann kann es nur den Punkt geben sich dem ganzen zu stellen, zu schauen was mache ich noch immer obwohl die Gefahr, Situation vorbei ist, was mache ich eher wie in der Sucht ohne das es einen Grund gibt.
Irgendwann steht die Frage, will ich so wie es ist weiter machen, gewinne ich was damit oder ist gar mein Leid so gross ein Schritt weiter zu gehen und ich kämpfe für mich.
Warum du ausgerechnet mit 35 Jahren angefangen hast, weiss ich nicht, dafür kenn ich dich und deine Geschichte zu wenig, aber dadurch das du hier schreibst suchst einen Weg der anders aussieht und das ist der wichtige Schritt etwas ändern zu wollen. Als mir das mal einer sagte, sah ich dann den riesen Berg und dachte boah ne das schaffe ich nie und dann sagte mir jemand, nicht alles auf einmal muss geschafft werden, manchmal reicht es auch nur die Spitze zu bearbeiten wenn sie über den Eis raus schaut, manchmal reichts es im Tal die Dinge anzuschauen wenn die Spitze über den Wolken weg ist.

Wichtig ist loszugehen, auch wenns manchmal heisst im Kreis zu gehen.

LeereSeele

Hey,

danke für deine Antwort.
Ich möchte mich nicht ewig ritzen, aber in meiner jetzigen "Phase" gibt es mir etwas. Eine Erleichterung, ein kurzes gut fühlen ...
Es ist enorm schwierig den Drang nicht nach zu gehen, es gehört grad zu mir und deshalb ist es mitlerweile täglich. Dadurch dass ich beide Arme unter und oberarme bearbeite habe ich danach schmerzen und kann kaum die Arme heben. Ich weiß dass es so nicht
weiter gehen kann. Generell muss ich was machen, da einfach alles außer Kontrolle geraten ist. Ich hoffe ich finde den Mut es wirklich an zu gehen.

Liebe grüße