Ratlos

Begonnen von Whiskey, 27 Dezember 2017, 01:49:23

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Whiskey

Hi, ich wuste nicht so recht wohin damit, also werde ich euch hier mal mein Herz ausschütten, wenn's ok ist...

Ich (w16) bin glückliche große Schwester von drei Geschwistern(14,9,7), anständiges Kind von geschiedenen Eltern das nur Einsen nach Hause bringt, und außerdem noch Klassensprecherin und somit nicht gerade unbeliebt in meiner Klasse.
Wir sind im Sommer in ein kleineres Dorf umgezogen, der Schulweg ist jetzt kürzer, wir haben sehr nette Nachbarn und eigentlich könnte man meinen, alles sei perfekt.

Ist es aber nicht. Vor einigen Monaten (Juni/Juli) habe ich angefangen mich selbst zu verletzten. Einen Grund dafür kann ich nicht nennen, wobei der Auslöser vermutlich ein Streit mit meiner Mutter war. Ich war unglaublich wütend (dadurch unkonzentriert) und habe mich versehentlich beim Zwiebelschneiden in den Finger geschnitten. Nicht tief, aber es tat weh. Ich war total fasziniert von dem Blut das plötzlich da war und hab gemerkt, wie meine Wut einfach so verpuffte...
Tja und dann tat ich es wieder. Sehr vorsichtig, mit perfekt vorbereiteten Ausreden. Gegenüber meiner Familie klappte das ausgezeichnet, nur meine Freundin konnte ich die Wahrheit nicht verstecken. Ja, wir haben darüber gesprochen und alles, aber irgendwann war es ihr zu viel und das hat sie mir klargemacht (wenn auch vielleicht nicht auf dem besten Weg), sodass ich mich nicht mehr traute irgendjemandem davon zu erzählen oder sie jemals wieder damit zu belasten.
Nach und nach merkte ich dann, was ich eigentlich tat und war dann für, ich würde mal sagen 7 oder 8 Wochen clean.
Meine Eltern, die sich bis dahin immer ziemlich gut verstanden hatten, redeten auf einmal kein einziges Wort mehr miteinander und ließen es alles an meiner Schwester und mir aus. Da halfen keine Gespräche, immer waren sie und ich zwischen unseren Elternteilen. Es hat mich unglaublich belastet, meine kleine Schwester so leiden zu sehen, ich tröstete sie, und mich tröstet mein Blut.
So klappte das eine ganze Weile, bis drei weitere meiner Freunde herausfanden was los war. Sie waren zwar geschockt im ersten Moment, fragten aber auch nicht weiter und haben sich seitdem bis auf den Satz  "Hol dir Hilfe" überhaupt nie wieder zu diesem Thema geäußert. Andererseits, beherrsche ich die Rolle die ich spiele perfekt (außer man erwischt mich in einem schwachen Moment).
Meine Mutter (versteht mich nicht falsch sie ist eine gute Mutter!), hat mit uns vieren alle Hände voll zu tun und ist oft sehr gereizt was in 90% der Fälle bei mir abgeladen wird, wenn sie dann bei kleinen Dingen unverhältnismäßig schnell und heftig ausrastet.
Ich selbst fühle mich irgendwie taub, könnte bei der kleinsten Kleinigkeit losheulen und bin quasi 24/7 gereizt und todmüde, weshalb sie und ich auch häufig schnell aneinandergeraten.
Tja und jetzt sitze ich hier. Mir professionelle Hilfe zu holen ist ein Ding der Unmöglichkeit, würde meine Mutter herausbekommen, was mit mir los ist, würde sie zusammenbrechen und das kann ich meiner Familie, besonders meinen Geschwistern nicht antun.
Ich habe es satt mich die ganze Zeit zu verstecken, ich habe es satt zwischen meinen Eltern zu stehen, ich habe es satt zu fühlen, ich habe mein Leben satt.
Ich weiß, dass es anderen viel schlimmer geht, weswegen ich mir immer sage "stell dich nicht so an" und ich hasse mich selbst in dieser Opferrolle.
Mir geht es nicht gut, und das weiß ich auch. Und ich weiß nicht, wie lange ich noch etwas vorspielen kann.
Aber andererseits will ich keine Hilfe. Ich würde es so gerne alleine schaffen. Weshalb, der einzige Sündenbock in dieser Situation bin ich. Es ist alles meine Schuld...

Naja, vielleicht habt ihr ein paar Gedanken zu oben gegebener Situation... ich würde mich freuen.
May

hardworking fool

Liebe May,

schön, dass du den Weg zu uns gefunden hast.

Ich kann mir vorstellen, dass es dir nicht leicht gefallen ist zuzugeben, dass du Probleme hast, aber das hast du ja schon getan, bist also schon einen ganzen Schritt weiter.
Deinen Freunden würde ich keine Vorwürfe machen. So eine Situation ist einfach schwer zu ertragen, selbst als Erwachsene fühlt man sich da ziemlich hilflos. Ich nehme mal an, dass das auch der Grund ist warum deine Eltern Probleme miteinander haben. Vielleicht haben sie ja etwas gemerkt? Kann aber natürlich auch sein, dass ihre Schwierigkeiten miteinander überhaupt nichts mit dir zu tun haben.
Und auch wenn du das jetzt vielleicht nicht hören willst, der Rat dir Hilfe zu suchen ist wirklich gut. Du bist 16, da kannst du auch ohne deine Eltern zum Arzt gehen. Ich würde mich erst einmal an meinen Hausarzt wenden und ihm alles erklären. Davon müssen deine Eltern erstmal nichts erfahren. Wahrscheinlich wird er dir dann eine psychotherapeutische Behandlung empfehlen, wenn nicht musst du ihn halt mit der Nase darauf stoßen.
Ich bin mir jetzt nicht 100% sicher, ob du den Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse selbst stellen kannst (es handelt sich ja nicht um die Einwilligung zu einer Operation), aber auch das dürfte kein Problem sein. Wenn du die Einschätzung vom Arzt hast müssen sich deine Eltern auch mit der Situation auseinander setzen.

Du schreibst, deine Mutter würde zusammen brechen. Also grundsätzlich ist es natürlich für jede Mutter hart zu erkennen, dass das eigene Kind krank ist, vor allem psychisch krank - und glaub mir, ich spreche aus eigener Erfahrung - ABER es ist besser zu wissen, dass etwas nicht stimmt und vor allem WAS nicht stimmt. Denn nur dann kann man etwas dagegen tun.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ein gemeinsamer Gegner, sprich deine Selbstverletzung, deine Eltern dazu bringt wieder aufeinander zuzugehen. Wer weiß? Eltern reagieren oft sehr merkwürdig auf die Probleme ihrer Kinder.

Ich möchte noch etwas zu bedenken geben: Es ist keine Schande sich Hilfe zu suchen, aber je länger du abwartest desto schwieriger wird es.

Alles Gute!
Fool

Chris960

Ich denke, dass in Deutschland ca 20% zumindest leicht depressiv sind. Daher ist man auch nicht schwach oder irre nur weil man Depressionen hat. Das kann in jedem mit bestimmter Erbanlage und besonders durch gewisse Dinge/Druck/Verluste im Umfeld ausbrechen. Du bist NICHT Schuld daran. Paradoxerweise geben sich Depressive häufig selbst die Schuld für viele Dinge, obwohl sie sich richtig verhalten oder dafür nichts können.
Ich würde an deiner Stelle deiner Mutter sagen, dass sie mich häufig aufregt und du dadurch wütend bist.
Die Endorphine, welche beim Ritzen freigesetzt werden und dich glücklich machen kannst du auch anders bekommen. Wenn man beim Sport an seine Grenzen geht, oder mit diversen Reizen auseinandergesetzt wird, zb. durch den Verzehr von scharfem Essen, Riechen von Vanille oder Lavendel. Zudem würde ich dir neben viel Bewegung/frischer Luft und neuen Dingen empfehlen, dir häufig glückliche Gedanken in den Kopf zu setzen und für alles Schöne dankbar zu sein. Dies führt dazu, dass man auf lange Sicht eher positive als negative Gedanken knüpft. Andersherum kann es aber genauso nach unten gehen, also mach weiter und alles Gute.

Whiskey

Ich danke euch sehr für eure Ratschläge, ich muss das Ganze irgendwie mal sacken lassen und versuche dann eine Lösung zu finden...
Danke an alle.