Verdrängte Erinnerung

Begonnen von darkness, 29 Januar 2017, 21:34:48

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darkness

Immer wieder denke ich, dass ich es geschafft habe.
Dass ich "gesund" bin, normal, so wie jeder andere.
Dass ich mein Leben im Griff habe.

Und dann breche ich immer wieder ein.
Immer wieder die gleichen Erinnerungen, die gleichen Gedanken, Gefühle, Schmerzen... auf einmal ist alles wieder da.
Durch die kleinsten Auslöser.
Selbst positive Dinge können sich so schnell wandeln.

Da lernt man einen Typen kennen, und alles läuft gut.
Man fühlt sich wohl, man fühlt sich gemocht, man fühlt sich attraktiv.
Beim letzten Treffen wollte er mit mir schlafen, und ich wollte es auch.
Ich konnte es nicht, wieder einmal konnte ich es nicht.
Weil alles auf einmal wieder da war.

Ich erinnere mich wieder genau.
Nein, ich will nicht, lass mich.
Wie er mich festgehalten hat, und ich mich einfach nicht lösen konnte.
Komm schon, stell dich nicht so an, sagte er immer wieder.
Irgendwann konnte ich nichts mehr sagen. Er küsste mich, er hielt mir den Mund zu.
Ich konnte nicht weg.
Wie er mir wehgetan hat.
Ich habe mich kaum gewehrt. Ich war ja selbst schuld, ich hatte ihm erlaubt, bei mir zu übernachten.
Damit hätte ich rechnen müssen.
Stell dich nicht so an, dachte ich.

Als er fertig war, fragte er noch, ob er mir wehgetan hätte.
Und ich sagte Nein.
Warum habe ich nein gesagt?
Ich weiß es immer noch nicht.

Erst Tage später wurde mir klar, wie diese Nacht mein ganzes Leben verändert hat.

Immer wieder habe ich gedacht, warum stellst du dich so an? Es war doch gar nichts.
Ich war doch selbst schuld.
Aber die Gedanken ließen mich nicht los.

Immer wieder hatte ich Angst, dass er in der Nähe wäre.
Ich kam vom Einkaufen, und hatte Angst, dass er vor meiner Tür warten würde.
Obwohl mir selbst klar war, wie absurd das war.
Natürlich war er nicht da.

Ich stand vor dem Spiegel und sah mich an.
So ein hässliches Wesen.
Ich habe es doch verdient, dass man so mit mir umgeht.
Wie kann man so dumm sein.
Hätte ich mich anders verhalten, wäre das alles nicht passiert.

Schon seit Jahren hatte ich Depressionen, die ich gut in den Griff bekommen habe.
Ich hatte mich unter Kontrolle, doch nach dieser Nacht kam wieder alles ins Schwanken.
Ich hatte mich sehr lange nicht mehr selbst verletzt und war stolz darauf.

Einmal kam ich nach hause von der Arbeit, ein ganz normaler Tag.
Zuhause angekommen, ließ ich mich noch im Flur einfach auf den Boden sinken und brach in Tränen aus.
Tausende Gedanken drehten sich in meinem Kopf.

Ich bin nichts wert.
Keiner liebt mich, aber an mir gibt es auch nichts, was man lieben könnte.
Ich komme doch sowieso nicht klar.
Ich werde nie das alles vergessen können, was passiert ist.
Die ganzen Probleme werden immer bleiben.
Die Familie ist kaputt und es wird immer Streit geben.
Ich werde nie damit zurecht kommen, es wird mich immer wieder alles zerfressen.
Ich werde niemals glücklich sein.

Die Gedanken vertieften sich immer mehr und ich fühlte mich wie in einem Abwärtsstrudel, aus dem ich nicht mehr entkommen konnte.
Die Tränen liefen in Strömen und ich konnte mich einfach nicht bremsen, ich umklammerte meinen Körper, als könnte ich mich selbst davor schützen, zu zerbrechen.
Ich wusste, es gibt jetzt nur eins, was hilft.

Ich nahm die Klinge.
Als das Blut lief, spürte ich langsam wieder innere Ruhe.

Mittlerweile habe ich komplett damit aufgehört.
Seitdem habe ich kein Ventil mehr.
Außer alles zu verdrängen.

Insgesamt gesehen geht es mir wirklich besser.
Die Phasen in denen ich solche Tiefpunkte habe werden weniger.
Ich versuche die Gedanken zuzulassen, ich gebe mir die Zeit, einfach traurig zu sein, und zu weinen.
Ich weiß, in ein paar Tagen ist es wieder vorbei.
Aber wenn es soweit ist, ist es jedes mal gleich schlimm.

Immer wieder frage ich mich, ob mich das mein ganzes Leben lang verfolgen wird.
Ob ich immer wieder solche Phasen haben werde, oder ob es möglich ist, dass es irgendwann ganz aufhört.
Und dann frage ich mich, ob ich genug Kraft habe, regelmäßig solche Phasen durchzustehen.
Ob ich ein solches Leben will.
Immer wieder Höhen und Tiefen, immer wieder der völlige Kontrollverlust, immer wieder die gleichen Ängste und Gedanken, die mich nicht loslassen wollen.
Völlige Verzweiflung bei den kleinsten Problemen.
Ist das das Leben, auf das man sich so freuen sollte?


Fighter

Hallo Darkness!

Dein letzter Abschnitt könnte auch von mir sein. Genau derselbe Gedanke um den Sinn des Lebens verfolgt mich genauso wie dich.

Wie du schon genau beschrieben hast ob man immer so viel Kraft haben wird um solche Phasen sein ganzes Leben lang durchzustehen.

Ich bin zwar schon in einer Langzeittherapie, dennoch verfall ich leider Gedankenmäßig immer wieder in die selben Muster und habe mich irgendwie damit abgefunden, dass ich so bis an mein natürliches Lebensende leben muss und diese seelischen Schmerzen ertragen muss...

Ich bin ein sehr sensibler Mensch im Gegensatz zu vielleicht manch anderen "stabilen" Menschen, dennoch denke ich aber, dass andere Menschen niemals so stark sind wie ich und du vielleicht, weil sie solche psychischen Schmerzen nicht kennen und nicht jeden TAg damit zu kämpfen haben und das gibt mir manchmal das Gefühl, dass ich es zwar schwer habe hier auf dieser Welt aber ich bin dennoch viel stärker wie andere Menschen weil ich noch am Leben bin und ich weiterkämpfe obwohl ich an schlechten Tagen denke doch einfach alles aufzugeben...

Insgesamt hatte ich mit meinen 24 jungen Jahren mehr schlechte als schöne Jahre aber wenn ich mich an meine schöne sorglosen Jahre erinnere oder doch schöne Lebensmomente die ich erlebte oder erlebe erinnere dann möchte ich weiterleben und sehe einen Sinn aber leider sind die schlechten Tage viel mehr und unerträglicher und länger und schrecklich das bringt mich jedes mal wieder zum zweifeln des Sinn des Lebens

Ich hoffe ich konnte dir auch wenn ich jetzt nicht viel hilfreiches hinzufügen konnte einen Einblick in meine Welt einer Mitleidenden eröffnen.

Wünsche dir weiterhin viel Kraft

Liebe Grüße!

darkness

Vielen Dank für deine Antwort.

Das ist ja genau das, was schon ein bisschen hilft, dass man nicht allein da steht mit diesem Problem.
Oft sieht man ja nur, wie gut alle anderen Menschen mit dem Leben zurecht kommen.

Aus meinem Umfeld denken die meisten, dass ich total stark bin und mit den ganzen Problemen in der Familie z.B. total gut umgehen kann. Dass ich mich so für meine Schwester einsetze und dafür selber so viel einstecken muss.
Aber so ist es nicht.
Ich liebe meine Schwester einfach und es bricht mir das Herz, sie unglücklich zu sehen, und deshalb kann ich gar nicht anders als mich für sie einzusetzen. Egal wie sehr ich selbst daran zerbreche.
Was das Thema angeht habe ich auch immer wieder das Gefühl, gegen eine Wand zu rennen.
Je mehr Kraft ich investiere, desto mehr verliere ich am Ende auch und gehe immer geschwächter aus der Sache raus. Jedes mal aufs Neue.

Aber das sieht keiner.
Es sehen alle nur wie stark ich bin, aber keiner sieht, wie ich danach tagelang zuhause am heulen bin weil ich wieder nichts erreicht habe und weil sich nie etwas ändern wird.

Keiner sieht, wie ich immer wieder in dieses Loch falle und immer wieder aufstehen muss.

Genauso meinte mal eine Freundin von mir, dass sie total Respekt davor hat, wie ich die Vergewaltigung verarbeitet habe.
Dabei frage ich mich manchmal, ob ich überhaupt etwas verarbeitet habe.

Ich habe ja auch oft überlegt eine Therapie zu machen.
Habe bisher aber nur ein Erstgespräch hinter mir, was eine Katastrophe war.
Wie schafft man es denn, jemand gutes zu finden?
Ich fand diese ganze Sucherei schon so belastend, dass ich es dann lieber gelassen habe.
Findest du denn, dass dir deine Langzeittherapie was bringt? Ich weiß auch immer nicht, was ich davon erwarten soll, wenn diese Phasen dann ja doch bleiben.

Danke dass du dir die Zeit genommen hast. (:
LG darkness

hardworking fool

Hallo Darkness!

Ich kann mich, glaube ich, ganz gut in deine Situation hineinversetzen. Noch heute glauben die meisten Menschen in meinem Umfeld ich sei unheimlich stark, immer gut gelaunt und fit wie ein Turnschuh. Das ging so weit, dass ich sogar mich selbst erfolgreich getäuscht habe.
Eine Therapie habe ich nur begonnen weil mir meine Chefin nach einem Zusammenbruch auf der Arbeit die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Lange Zeit war ich der Meinung, das sei völlig überflüssig. Und als ich dann las, dass meine Therapeutin eine Langzeittherapie für mich beantragt hatte, da zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Langzeittherapie? Ich doch nicht! Ein paar Gespräche vielleicht, aber an sich völlig unnötig.
Jetzt habe ich bald das erste Jahr Therapie hinter mir und ich bin unendlich dankbar, dass ich diesen Schritt gegangen bin.
Den richtigen Therapeuten zu finden ist natürlich nicht leicht. Manchmal können Empfehlungen von Bekannten, dem Hausarzt oder auch im Internet helfen (wobei beispielsweise meine Therapeutin überhaupt keinen Internetauftritt hat), aber letztendlich muss man sich auf das eigene Bauchgefühl verlassen und selber beurteilen ob die Chemie stimmt. Tut sie das nicht, kann man sich die Therapie auch gleich sparen.

Nur so ein paar Bemerkungen die mir in den Sinn kamen als ich deinen Post gelesen habe.

Alles Gute
Fool

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