Belinda to break - Chronologisch

Begonnen von Freudestrahlend, 15 Januar 2017, 20:58:32

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Freudestrahlend

Prolog

I know dark clouds will gather 'round me,
I know my way is rough and steep.
Yet beauteous fields lie just before me.
Johnny Cash, Wayfaring Stranger

Die Uferstraße von Parikia war menschenleer, denn die Saison auf Paros war längst vorbei. Um diese Zeit hatten sich die Griechen und die letzten versprengten Urlauber in beheizte Räume verzogen. Die Geschäfte und Kioske, die im Sommer bis in die Nacht geöffnet hatten, lagen im Dunkeln und zum Wasser hin erhob sich der verwaiste Fähranleger. Wo sich vor einigen Stunden noch die Gespräche der wenigen Neuankömmlinge mit den ,,Rooms, rooms"-Rufen der Einheimischen auf der Suche nach letzten Feriengästen vermischt hatten, herrschte jetzt Stille. Ein großer, bei Bauarbeiten vergangener Tage übriggebliebener und dann vergessener Betonblock hielt am Ortsausgang majestätisch Wache. Selbst in der Dunkelheit strahlte das Graffiti noch ziemlich weit: ,,Rent a Block!" wurde dort in weißen Lettern aufgefordert.

Ein Stück außerhalb des Ortes sah man eine Gestalt am Wasser sitzen. Kaum ein Geräusch war zu hören, nur ganz leise plätscherte das Wasser an die Ufersteine. Ganz kurz hörte man weit entfernt aus dem Ort Musik und Stimmen, ein Ausspucken von Clubgeräuschen durch die sich öffnende und schließende Eingangstür. Es war kühl, die ungewöhnliche Wärme des letzten Novembertages hatte sich nicht in die Nacht gerettet. Am Horizont erahnte man die Umrisse von Antiparos, aber der Himmel war so wolkenbedeckt, dass weder Mond- noch Sternenlicht die Silhouette beschienen.
Die Gestalt am Wasser saß reglos mit dem Blick aufs Meer. Ungefähr eine Stunde zuvor hatte man im letzen Rest der Dämmerung sehen können, wie eine Bewegung durch den Körper ging. Die Schultern zuckten minutenlang wie geschüttelt auf und ab, doch dann beruhigten sie sich wieder und seitdem saß die Gestalt wie eine Statue in Lederjacke, Jeans und Cowboystiefeln. Mitten in der Nacht erhob sie sich, stieg mit wackligen Schritten die Ufersteine hinunter und ging langsam auf die Insel am Horizont zu. Das Wasser erfasste die Hosenbeine und tränkte bei jedem Schritt wieder ein Stückchen Kleidung mehr. Als es die Hüfte erreichte, glitt die Gestalt ins Wasser und fing mit ruhigen Zügen an zu schwimmen.

In diesem Augenblick löste sich aus der Schwärze des Rent-a-Block-Schattens eine zweite Gestalt. Sie lief zum Ufer, entledigte sich dort ihrer Jacke, Hose und Schuhe und rannte ins Wasser. Sie schwamm hektisch und uneffektiv und war deshalb kaum schneller als die erste, die nichts davon zu ahnen schien, dass ihr jemand auf den Fersen war. Erst nach einer Viertelstunde trafen sich – unbeobachtet vom Rest der Welt – zwei dunkle Köpfe auf dem Wasser. Kein menschliches Ohr vernahm das Klatschen der Schläge ins Gesicht, nicht ein Mensch hörte die fassungslose Frage: Bist du eigentlich verrückt? und niemand sah das Gespann den Weg zum Ufer zurücklegen und so wunderte sich nur der Herbstwind über diese stumme Rückkehr.

Belinda liebte Musik. Und sie liebte Listen. Das waren die Gründe, warum sie High Fidelity von Nick Hornby liebte. Sie hatte selber jahrelang Listen von den besten Bands, den besten Platten und den besten Liedern geführt. Später kamen dann Listen der besten Bücher, Filme und Schauspielerinnen dazu. Sie neigte dazu, die Menschen in ihrem Umfeld danach zu beurteilen, was sie gerne hörten, sahen und lasen. Ihr Eraserhead-Test war berüchtigt. Jeder Mensch, der in ihren Dunstkreis vorstieß und Belinda näher kommen wollte, musste sich mit ihr den Film anschauen. Ganz unten durch war, wer einschlief. Schlimmer war nur, wer den Film als langweilig bezeichnete. Belinda wollte keine Mainstream-Zombies in ihrer Nähe. Sie wollte kritische, aufgeweckte Geister und so umgab sie sich mit Menschen, die einen düsteren, unheimlichen, zutiefst verstörenden Film toll fanden und die jeden Schlaflos-in-Seattle-Fan mit Peitschenhieben aus der Tür jagen würden. Auf der Filmliste dieser Menschen war Taxi Driver auf einem der ersten drei Plätze zu finden.
An diesem grauen Morgen auf Paros dachte Belinda aber an völlig andere Listen. Sie dachte an die Top 3 der demütigendsten Augenblicke ihrer Suffkarriere. Spitzenreiter war hier auf alle Fälle das Aufeinandertreffen mit ihrem Chef, dem Stellenvorsteher der Briefzustellung bei der Post während ihrer Zeit als studentische Aushilfe. Sie musste ihm damals das Verschwinden von zwei Einschreiben, einem Wertbrief und diversen Zustellaufträgen erklären. Wie können einem am helllichten Tag auf der Tour sämtliche nachzuweisenden Sendungen abhandenkommen? Die Geschichte, die sie ihm auftischte, war nur ungefähr 2,8‰ von der Wahrheit entfernt: Sie hätte in der Grünanlage Pause gemacht und sei wohl kurz eingenickt. Beim Aufwachen sei dann die Umhängetasche mit der Post verschwunden gewesen. In seinem Gesicht konnte sie deutliche Anzeichen dafür entdecken, dass er ihren strengen Geruch, die Grasflecken auf der Hose und die Spuren von Erbrochenem an ihrem Jackenärmel zu ihren Informationen addierte. Sie solle sich mal den nächsten Tag freinehmen, hatte er gesagt und weiter kein Wort darüber verloren. Bei dem anschließenden Disziplinarverfahren hielt er ihr den Rücken frei, aber er versetzte sie auf eine andere Tour. In der Hoffnung, dass sie sich dort nicht so schnell wieder so viele ,,Tankstellen" einrichtete.

Und nun war entweder dieser Spitzenplatz der Peinlichkeiten in Gefahr oder sie musste eine neue Liste aufmachen. Sie entschied sich für Letzteres und so fand sich der gegenwärtige Augenblick an erster Stelle der Niederlagen ihres Lebens. Hank Williams hatte ihr schon eine Ahnung verschafft: But I got to the river so lonesome I wanted to die, oh Lord! And then I jumped in the river but the doggone river was dry. Das war wirklich bitter, hatte sie gedacht, als sie es zum ersten Mal hörte. Wenn sich das Leben so gegen einen verschwört. Aber dass sie es endlich geschafft hatte, den Entschluss zu fassen und den Mut, es in die Tat umzusetzen, um am nächsten Morgen in klammen Klamotten und feuchten Schuhen noch fertiger, noch einsamer, noch hoffnungsloser dazusitzen, das war an Bitternis nicht zu überbieten. Sie sah der ablegenden Fähre, auf der sich ihr Retter befand, hinterher und fragte sich, ob die Wut auf ihn irgendwann vergehen und sie ihm wohl mal dankbar sein würde. Wenn sie in 30 Jahren mit warmen Erinnerungen an ihr Leben in ihrem Gärtchen saß und den entzückenden, glücklichen, blonden Geschöpfen, die sie Oma nannten, beim Schaukeln zuschaute, dann würde sie leise zu ihm sagen: Danke. Ohne dich hätte ich das nicht erleben dürfen.

Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, bevor sie in den Rinnstein kotzte und dachte: Danke. Ohne dich hätte ich das hier nicht erleben müssen. Sie stand auf, wankte in ihre Ferienwohnung und zog Bilanz. Ihr ganzer Aufenthalt wirkte auf sie wie eine schlechte Kopie von Phillip Marlowe in Der lange Abschied. Im Reisebüro erfuhr sie, dass es erst in knapp zwei Wochen eine bezahlbare Möglichkeit gab, hier wegzukommen.

Ihre letzte Nacht auf Paros war elendig. Der Dezember hatte nun auch wettertechnisch die Insel erreicht, es regnete und stürmte und die Fähre legte deshalb nicht ab. Die Abfahrt sollte planmäßig um 22 Uhr sein und war um zwei Stunden verschoben worden. Sie beschloss, die Zeit in dem Club zu überbrücken, der nicht allzu weit vom Anleger entfernt war. Sie hatte kaum geschlafen und hatte schon tagsüber zu viel getrunken. Ihr Körper hatte es aufgegeben, gegen die ständigen Angriffe auf das Entgiftungssystem zu rebellieren, aber sie merkte an jeder Bewegung, wie übel er es ihr nahm. Aber sie konnte die Verzweiflung nur in Schach halten, wenn sie mindestens zweieinhalb Promille hatte. Und selbst dann gelang es nicht.

Als die Fähre am 12. Dezember um 3 Uhr morgens in Parikia ablegte, war Belinda bewusstlos an Bord. Bei der Fahrscheinkontrolle wusste sie nicht, wo sie war und fand im Gepäck kaum ihr Ticket. Zwei Tage später erreichte sie Berlin. Ohne Wohnung, ohne Job, ohne Zukunft.
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Freudestrahlend

(Über)Leben

I've never cared for authority,
I've never felt part of the majority.
Well I lost my home and I lost my wife.
This is no joke. This is my life.
Firewater, This is my life

Sie parkte die gelbe Postkarre vor dem Hauseingang. Es nervte sie schon lange, dass die Hausbesitzerin für den ganzen Block keinen Schlüssel rausrückte. Jeden Tag wiederholte sich dieses absurde Spiel: klingeln, Die Post! rufen, und im besten Fall ertönte der Summer. Im Normalfall allerdings folgte ein zeitraubender, nervtötender Dialog nach folgendem Schema:
«Haben Sie etwas für mich?» Nee, für mich hatte sie nichts...
«Wer sind Sie denn?»
«Das müssen Sie doch wissen, Sie haben doch bei mir geklingelt.»
«Ich wollte nur in den Hausflur, damit ich die Post in die Briefkästen werfen kann.»
«Dann klingeln Sie doch nicht bei mir, wenn Sie gar nichts für mich haben.»
«Machen Sie mir bitte die Tür auf?» Manchmal bekam sie auf ihr Post! auch die Antwort: «Ich kenn keinen Horst.»...
Sie trat an das Klingelbrett, blätterte den Briefstapel für diesen Eingang durch und drückte dann auf die Klingeln neben den Namen, für die sie Briefe hatte. «Ja?» «Die Post!» Die Antwort klang sehr erfreut und war äußerst überraschend. Diese Variante kannte sie noch nicht: «Ach, Horst, bist du das?» Belinda seufzte. Sie würde wegen der bescheuerten Postwurfsendungen mindestens zwei Stunden länger brauchen und hatte deshalb nur einen geringen Sinn für Humor. «Sorry, ich bin nicht Horst. Ich bin Belinda und ich bringe Ihre Post.» Sie war stolz auf ihre Beherrschtheit und froh, dass diese belohnt wurde: der Summer summte und sie drückte die Tür auf.

Wie erwartet zog sich die Tour hin. Dicke Stapel von in Plastik eingeschweißten Werbeprospekten wanderten in jeden Kasten, der sie nicht durch einen Keine Werbung-Aufkleber davon abhielt, diesen Müll dort einzuwerfen. Was für eine Verschwendung von Bäumen und Energie. Sie musste sich regelrecht darauf konzentrieren, dieses Mantra nicht im Kopf bei jedem einzelnen Teil zu wiederholen. Dann wäre sie am Ende der Tour wirklich fertig mit den Nerven. Aber sie konnte sich nicht gegen die anderen Gedanken wehren, die ihr stattdessen durch den Kopf schossen: Was machst du hier eigentlich für einen Scheißjob? Hast du dafür fünf Jahre lang studiert? Bist du nicht hinter deinen Möglichkeiten zurückgeblieben? Der letzte Gedanke ärgerte sie am Meisten. Nicht nur, weil er in der Stimme ihrer Mutter gedacht war, sondern weil sie sich nicht sicher war, ob sie ihn nicht manchmal selber glaubte. Wenn sie zurückschaute, konnte sie stolz auf sich sein. Gesegnet mit einer beachtlichen Intelligenz und diversen sozialen Kompetenzen hätte sie sicher mehr Möglichkeiten als diese hier. Aber sie hatte leider auch anderes mit auf den Lebensweg bekommen. Zum Beispiel ihren Minderwertigkeitskomplex und die mangelnde Fähigkeit, ein Recht auf ihr Da-Sein zu empfinden. Und nun stand sie hier mit einer zwanzigjährigen Saufkarriere, einem abgebrochenen Studium, einem Selbstmordversuch und lebte. Sie weigerte sich hartnäckig, das Ende ihrer Selbständigkeit in die Liste dieser unguten Dinge einzureihen, wie ihre Eltern das taten. Als sie vor sieben Jahren nach Griechenland fuhr, körperlich und seelisch völlig am Ende, hatte sie vorher ihre Anteile an ihrem Geschäft verkauft. Nicht, weil sie damit rechnete, nicht zurückzukommen. Sondern weil sie merkte, dass sie diese Verantwortung nicht mehr tragen wollte.

Sie war trocken geworden und machte jetzt einen Job, der sie ernährte und der ihrem Leben Struktur gab. Der ihr das bisschen Sicherheit und Kontinuität vermittelte, das sie brauchte, um überhaupt den Blick mehr als zwei Stunden in die Zukunft richten zu können. Außerdem lebte sie endlich in einer Beziehung, in der sie Unterstützung bekam. Pinar war jemand, um die sie sich nicht kümmern musste, wie es in ihren Beziehungen meist der Fall gewesen war. Sie fand, sie hatte das Beste aus ihrer Situation gemacht. Hinter welchen Möglichkeiten war sie also zurückgeblieben? Hinter der theoretischen Wirtschaftsjuristinnenkarriere? Bullshit. Mit diesem gedanklichen Schlusspunkt warf sie die faule Post des Tages in ihre Umhängetasche und machte sich auf den Rückweg zum Postamt. Sie hatte heute noch einen Termin bei ihrer Therapeutin und musste sich ein bisschen beeilen.
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Freudestrahlend

Schon seit einiger Zeit hatte Belinda den Eindruck, dass das Ende ihrer gemeinsamen Etappe erreicht war, aber sie hatte sich nicht getraut, diesen Gedanken ihrer Therapeutin gegenüber zu äußern. Als sie mit dem Saufen aufgehört hatte, war sie durch eine Empfehlung bei ihr gelandet und war eine Weile sehr zufrieden gewesen. Aber nach einigen Vorfällen fragte sich Belinda, ob es sich bei dem Benehmen der Frau um Charakterschwäche oder therapeutische Intervention handelte. Einmal hatte ihre Therapeutin sie nach einer sehr anstrengenden Sitzung aus der Praxis gejagt. Belinda war schwindelig und etwas übel gewesen und wollte sich in diesem Zustand ungern in den Berliner Straßenverkehr begeben.
«Mir ist gerade nicht gut. Ob ich mich wohl noch einen Augenblick ins Wartezimmer setzen könnte?», hatte Belinda gebeten.
«Das ist eine Praxis und keine Bahnhofshalle!» hatte ihre Therapeutin geschrien. Belinda war zusammengezuckt und hatte mit einem gemurmelten «Oh, Entschuldigung» die Praxis fluchtartig verlassen. Sie fand, das hätte man auch freundlicher ausdrücken können.
Bei einer anderen Gelegenheit erzählte Belinda von ihrer Arbeitskollegin:
«Meine Kollegin behauptet, ich würde sie mobben. Sie ist der Ansicht, ich würde so viele Fremdwörter benutzen, damit sie mich nicht versteht. Und ich würde ihr dadurch wichtige Informationen vorenthalten.»
«Oh, Gott, das ist ja nicht zu fassen. Sie macht Ihnen ihre eigene Dummheit zum Vorwurf!» war die Antwort der Therapeutin. Will sie mich auf den Arm nehmen? fragte sich Belinda in diesem Augenblick.
Belinda fand aber, den Renner unter den Entgleisungen stellte eine andere Aussage dar. Sie hatte gefragt: «Nehmen Sie eigentlich noch neue Patienten?» und Folgendes erfahren:
«Für die paar Kröten von der Krankenkasse nehme ich überhaupt keine Patienten, sondern nur Klienten! Ich habe doch keinen Bock, hier dauernd mit kranken Leuten zu sitzen. Ich arbeite lieber mit normalen Menschen, bei denen noch Luft für Charakterveredelung ist.» Belinda hatte von Leuten gehört, die sich in ihre Therapeuten verliebt hatten und war froh und sicher gewesen, dass sie mit dieser Person gegen diese Gefahr gefeit war. Trotz alldem hatte sie hier drei Kurzzeittherapien hinter sich gebracht, Verhaltenstherapie mit NLP – Neurolinguistisches Programmieren. Sie war viel gereist, 30 Reisen ins Unterbewusste, ans Eingemachte. War sie heil zurückgekommen? Sicher nicht, aber sie konnte zum ersten Mal in ihrem Leben einen Blick auf ihre Verletzungen werfen.

Auf einer der ersten Reisen begegnete sie ihrem Ärger. Auch heute noch hatte sie nicht nur die Bilder dieser Reise vor Augen, sondern sie spürte auch noch sämtliche Gefühle. Sie lag auf dem Sofa, eingehüllt in ein warmes Tuch, trug Kopfhörer, hatte Elektroden an den Ohrläppchen und eine spacig aussehende Brille auf der Nase. Mit Hilfe der salbungsvollen Stimme von einer CD, Elektrostimulation und flimmernden Lichtimpulsen war sie tief nach unten gereist. Sie hatte über mehrere Ebenen der Entspannung einen Ort erreicht, der von ihrem Unterbewusstsein und nicht von ihrem Verstand regiert wurde. Dort stellte sie sich einer typischen Situation, die sie vor Ärger ausflippen ließ: Eine Kollegin rief sie an ihrem freien Tag an. Die Nachtschicht sei unbesetzt, ob sie arbeiten könnte. Die Flutwelle der Gedanken überschwemmte augenblicklich die Szenerie: dummes Pack, alle faul, Hypochonder – elende, ich bin wohl die Einzige, die hier arbeitet, Frechheit, gerade mich zu fragen, sollen sie doch die Post einfach liegenlassen, die sollten alle ihren Lohn gestrichen bekommen... Die Stimme ihres Trancereiseführers forderte sie auf, sich die Umgebung, in der sie sich befand, näher anzuschauen. Sie war durch eine Tür gegangen, an der ,,Ärger" stand. Nun befand sie sich in einem düsteren, muffigen Raum. Gestalten saßen dort herum, aschfahl im Gesicht, mürrisch, freudlos. Die Atmosphäre war bedrückend, kein schöner Ort und dementsprechend elend fühlte sie sich dort. Das gab auch ihr Reiseführer zu bedenken und schlug ihr vor, diesen Ort zu verlassen. Sie drehte sich um, ließ den Raum hinter sich und schloss erleichtert die Tür. Sie musste nur einige Schritte gehen, da öffnete sich ein anderer Raum. Sie betrat eine sonnige Wiese, auf der sich einige Menschen im angeregten Gespräch befanden, andere spielten Federball miteinander, die Luft war frisch und von Lachen durchsetzt. Sie hatte keine Ahnung, was an der Tür zu dieser Szene stand, aber für sie ist es bis heute einfach die andere Tür.

Schon vier Tage nach dieser Reise gab es eine Situation, in der sie die Gelegenheit hatte, diese andere Tür zu nehmen. Sie spürte den Ärger in sich aufwallen, entschied, dass sie sich so nicht fühlen wollte. Sie ging durch die andere Tür. Es war ein wunderbares Gefühl der Selbstermächtigung! Sie hatte die Wahl, sie konnte entscheiden, wie ihre Realität aussah und wie sie sich fühlte. Ihre Kolleginnen hatten mit ihrem üblichen Widerstand gerechnet, mit stundenlangen Vorwürfen und Belehrungen und waren überrascht, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken die Schicht übernahm. Sie sahen erstaunt, dass sie wohlgemut an die Arbeit ging.

Heute musste Belinda die fünf Stockwerke zur Praxis zu Fuß erklimmen, da der Fahrstuhl in dem großbürgerlich sanierten Altbau außer Betrieb war. Sie atmete tief und regelmäßig und machte langsame Schritte, um nicht aus der Puste zu sein, wenn sie oben ankam. Als ob sie bei der Arbeit nicht genug Treppen zu steigen hätte... Allerdings ließ ihr dieser unerwartete Gang genug Zeit, um sich auf die kommende Sitzung einzustellen. Sie war unsicher, wie es weitergehen sollte. Sie hatte in der Therapie einige Methoden für den Umgang mit ihren Gefühlen erfahren und gelernt. Ihre Handlungsfähigkeit hatte sich beachtlich vergrößert, sie war ihren Impulsen nicht mehr so hilflos ausgeliefert. Aber so hilfreich sie die Therapie auch fand, in der letzten Zeit hatte sie manchmal der Verdacht beschlichen, ihre Therapeutin wäre ihr in manchen Dingen zu ähnlich. Hatte vielleicht sogar die gleichen Probleme und konnte ihr deshalb nicht mehr weiterhelfen.

In der Praxis angekommen hängte sie ihre Jacke an die Garderobe und betrat das Sprechzimmer. Der Raum war hell und freundlich, wenige rote Möbel zwischen viel Weiß. Der Teppich fühlte sich weich unter den Schuhen an und Belinda befürchtete auch heute wieder, sie könnte Spuren darauf hinterlassen. Die Assistentin ihrer Therapeutin hatte ihr wie immer ein Glas Apfelschorle hingestellt und zwei Stücke Schokolade daneben gelegt. Nervennahrung, dachte Belinda, pflanzte sich in den Freischwingsessel und nahm einen Schluck von der Schorle, die angenehm im Mund britzelte. Sie drehte den Sessel ein Stück herum, bis sie einen uneingeschränkten Blick über die Dächer Charlottenburgs hatte. Den Straßenverkehr vom Steinplatz konnte sie hier oben nur noch als vages Brummen hören. Sie wandte den Kopf, als ihre Therapeutin den Raum betrat und hinter dem Glastisch Platz nahm, von wo aus sie gewöhnlich ihre kleinen Vorträge hielt. Sie nahm Belindas Akte zur Hand und blätterte darin. Ihre Fingernägel, die in dem gleichen Rot wie ihre Lippen leuchteten und einen Kontrast zum Weiß ihrer Kleidung bildeten, klackten dabei leise auf der Glasplatte. Corporate Design, dachte Belinda nicht zum ersten Mal. Und wie immer fühlte sie sich in dieser eleganten, durchgestylten Umgebung ein bisschen fehl am Platze.
«Was ist Ihr Anliegen für heute?» Die tiefe Stimme der Therapeutin und ihr Lächeln lullten Belinda ein. Sie vergaß darüber völlig, dass sie sich vorgenommen hatte, ein Ende der Therapie anzusprechen. Reflexartig gab sie eine Antwort, die sie auf diese Frage schon gefühlte zwanzig Mal gegeben hatte.
«Ich würde gerne eine Reise zum Thema Selbstbewusstsein machen.» Ihre Therapeutin machte ein Gesicht, als hätte sie am liebsten die Augen verdreht.
«Ich bin der Meinung, Frau von Sillau, sie sollten jetzt nicht länger auf meiner Couch rumlungern, sondern sollten rausgehen und zusehen, wie sie das hier Gelernte in Ihren Alltag integrieren.» Diese Bemerkung weckte Belinda aus ihrem eingelullten Zustand.
«Und was heißt das?»
«Wenn Sie einverstanden sind, schließen wir die Therapie heute ab. Die restlichen Stunden bleiben stehen und Sie können sie nutzen, wenn Sie alleine nicht klarkommen.» Am Ende jeder Therapie waren Stunden stehen geblieben, aber immer, wenn Belinda sie in Anspruch nehmen wollte, war es zu lange her und sie musste eine neue Runde beginnen. Die Frau verdiente ganz ordentlich mit Stunden, die sie niemals gab. «Was halten Sie davon, heute eine Reise zu machen, die das bisherige Programm sinnvoll abrundet?»
«Das hört sich nach einer guten Idee an.» Belinda war glücklich, dass es sich so fügte, wie sie es vorgehabt hatte.
Eine gute Stunde später verließ sie die Praxis und ging die Treppe hinunter. Der Wind riss ihr beinahe die Haustür aus der Hand, aber es hatte wenigstens aufgehört zu regnen. Als sie auf die Straße trat, erfasste sie der nächste Windstoß, hob sie ein wenig hoch und trieb sie die Straße entlang als wolle er sagen: Bloß weg hier.

Sie hatte vorgehabt, sich bald eine neue Begleitung für ihren weiteren Weg zu suchen. Stattdessen wurde der 11. September zu einem besonderen Datum, Amerika zog in den Krieg gegen den Terrorismus, Europa bekam den Euro, ein Tsunami suchte Asien heim, Angela Merkel wurde Bundeskanzlerin, Shaun Murphy wurde als Qualifikant Snooker-Weltmeister, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft wurde legal und die Fußball-WM in Deutschland wurde zum Sommermärchen. Barak Obama wurde Präsident der USA, Robert Enke warf sich vor einen Zug und in Fokushima geschah ein großes Unglück, ohne dass sie etwas unternahm.
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Freudestrahlend

Sie presste ihre Nase an die warme Scheibe. Ihr war es egal, ob man sie von drinnen sehen konnte. Sie sah die Menschen dort drinnen lachen, sich unterhalten und spürte eine unbändige Sehnsucht dabei zu sein. Sie sah sich um, konnte aber keinen Eingang entdecken. Die Fensterfront erstreckte sich ohne Unterbrechung durch eine Tür von einer Ecke des Gebäudes zur nächsten. Vielleicht musste sie um das Haus herumgehen? Sie sah eine kleine Gruppe festlich gekleideter Menschen dort verschwinden, wo sie den Seiteneingang vermutete. Sie rannte ihnen hinterher, aber als sie die Ecke erreichte, bot sich ihr nur der Anblick einiger Mülltonnen und einer unverputzten Brandschutzmauer. Irritiert kehrte sie um und stellte sich wieder vor das Fenster. Sie versuchte, ein wenig Wärme einzufangen, indem sie ihre Hände und die rechte Wange flach an die Scheibe legte. Als auch ihre Ohrmuschel das Glas berührte, hörte sie das trockene Pling des Zerspringens. Die Risse breiteten sich sekundenschnell spinnenartig über die ganze Fläche aus und vor der Intensität des vielfach gebrochenen Lichtes musste sie den Blick abwenden. Niemand im Inneren registrierte, was hier vorging. Als ihr die Tränen in die Augen traten, hob sie die Hände vor das Gesicht und verbarg es darin. In diesem Augenblick senkte sich innen eine Jalousie herab und ließ sie in der Dunkelheit und Kälte der Straße zurück.
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Freudestrahlend

«Was hältst du davon, dir professionelle Hilfe zu holen?» Pinar saß auf Belindas Bettkante und sprach zu dem Rücken, der sich unter der Bettdecke wölbte. «Ich bin langsam ziemlich besorgt um dich.»
«Ich will nicht schon wieder Patientin sein,» tönte es dumpf unter der Bettdecke hervor.
Pinar legte Belinda die Hand auf die Schulter. «Das verstehe ich.» Doch nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: «Aber was heißt: schon wieder? Wie lange ist es her, dass du die Verhaltenstherapie beendet hast?»
«Zehn Jahre,» grummelte Belinda unter der Decke. «Aber ich bin doch immer noch in homöopathischer Behandlung wegen der Depression.»
«Ja, nur scheint das zurzeit nicht auszureichen, oder?» Unter der Decke grunzte es. Aber wie Pinar gehofft hatte, drehte Belinda sich um und sah sie an.
«Ich habe keine Kraft, mir jemanden zu suchen,» sagte Belinda matt.
«Ich hätte da einen Tipp für dich.» Belinda setzte sich im Bett auf. «Schieß los!» sagte sie.
«Du kennst doch Wiebke, die seit Jahren durch verschiedene Therapien tingelt und mit nichts und niemandem klarkam. Sie war vor ein paar Tagen bei uns im Laden und erzählte, dass sie endlich etwas gefunden hat, das ihr hilft. Ich habe mir die Nummer geben lassen.» Pinar holte ihr Portemonnaie aus der Hosentasche und suchte darin herum. Dann reichte sie Belinda einen Zettel.
«Du bist ein Schatz. Danke.» Statt einer Antwort nahm Pinar Belinda in den Arm und hielt sie einige Sekunden fest, bevor sie aufstand und das Zimmer verließ. Belinda hätte sich gerne noch länger an Pinar angelehnt. Schwerfällig legte sie sich wieder hin und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Pinar hatte vollkommen recht. Sie kam momentan alleine überhaupt nicht klar und die homöopathischen Mittel schlugen nach anfänglichem Erfolg nicht mehr gut an. Und ob sie wollte oder nicht: So wie es ihr momentan ging, war sie schon Patientin. Nur mehr oder weniger unbehandelt. Ihr fiel ein, dass sie gar nicht gefragt hatte, um was für eine Therapie es sich handelte. Doch Pinar würde ihr keinen Unfug vorschlagen. Da war Belinda sich sicher. Sie stand auf, ging ans Telefon und vereinbarte einen Termin.

Gefühlt ungewohnt
«Was spüren Sie?» Belinda hatte keine Ahnung, was sie ihrem Traumatherapeuten darauf antworten sollte. Sie saß auf dem Sessel und versuchte etwas zu spüren. Sie war sich nicht sicher, ob sie etwas spürte oder ob sie nur nicht sagen konnte, was. Doch, sie fühlte etwas! Sie spürte den weichen Sitz unter ihrem Hintern. «Unter meinem Hintern fühlt es sich weich an.» Sie hatte Bedenken, dass das eine lächerliche Antwort sei. Denn er musste doch wissen, dass sich ein weicher Sessel weich anfühlte. Aber augenscheinlich war die Antwort nicht verkehrt. Nur reichte sie ihm leider nicht. «Und was spüren Sie noch?» Oh je, das konnte ja heiter werden. «Es ist warm», versuchte sie. «Und ich bin nervös.» Sie rechnete damit, dass er nun wissen wollte, warum sie nervös war. Aber stattdessen fragte er: «Wo spüren Sie diese Nervosität?» So ging es für Belinda gefühlte Ewigkeiten lang weiter und irgendwann meinte ihr Therapeut, dass es für heute reichte. Sie hatten nichts weiter gemacht oder gesprochen. Das soll es gewesen sein? Sie war ein wenig verwundert. Allerdings hatte sie keine Vorstellung davon gehabt, was Traumatherapie bedeutete, geschweige denn, wie so eine Sitzung normalerweise verlief. Ihr Therapeut hatte ihr zu Beginn zwar etwas erklärt, aber sie konnte sich kein Bild davon machen.

Als Belinda die Praxis verließ und sich auf den Weg zur Arbeit machte, ließ sie die seltsame Sitzung Revue passieren. Ihr fiel auf, dass sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht hatte, wo in ihrem Körper die Angst saß. Oder die Traurigkeit. Sie hatte auch noch nie darauf geachtet, ob der Kloß in ihrem Hals eine Farbe hatte oder eine bestimmte Oberfläche. Und sie stellte fest, dass ihr nur ganz wenige verschiedene Worte einfielen, um ihre Empfindungen zu beschreiben. Gut und schlecht. Das waren die Standardantworten auf die Fragefloskel: Wie geht es dir? Hier brauchte sie offensichtlich nicht nur mehr Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung, sondern sie brauchte auch ein wesentlich größeres Vokabular. Auch wenn sie keinen Dunst hatte, wohin das Ganze führen würde: Sie war bereit, sich darauf einzulassen. Sie beschloss, sich auf die nächste Sitzung vorzubereiten, indem sie sich Wortlisten machte.
Gut. Was für gute Gefühle kannte sie? Sie konnte froh sein. Oder glücklich. Ärgerlich kam häufiger vor, aber das musste wohl auf die andere Liste. Wütend war sie auch oft, oder traurig. Vielleicht sollte sie die andere Liste zuerst machen, damit diese ganzen unerfreulichen Gefühle aus ihrem Hirn verschwanden, um Platz für die ,,Gute-Gefühle-Liste" zu machen? Also gut: wütend, ärgerlich, enttäuscht, verzweifelt, einsam, stumpf, leer, tot. Und abgetrennt, unsicher, verwirrt, aufgeregt, unbefriedigt, überreizt, schwach, müde, wertlos, dumm, klein. Das reichte vorerst. Nun aber die andere Liste: hoffnungsvoll, wach, aufgedreht, inspiriert, kreativ, erfüllt. Liebevoll, geborgen, sicher, stark, selbstbewusst. «Geht doch, sind doch schon ganz schön viele Wörter», dachte sie.
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Freudestrahlend

Belinda schob die nächste Gilmore-Girls-DVD ins Laufwerk. Der Plan war, nur eine Folge zu gucken, aber sie war sogar zu erschöpft gewesen, die Stopptaste zu drücken und hatte sich deshalb alle acht Folgen angesehen. Sie hatte geweint, als Lorelay und Luke sich endlich küssten, sie hatte geweint, als Rory endlich mit Dean schlief und daraufhin einen Riesenstreit mit ihrer Mutter bekam, sie hatte nicht geweint, als Emily und Richard sich trennten... Jetzt war es halb drei und sie spürte immer noch keinen Drang, das Bett zu verlassen, als es leise klopfte. Auf Belindas «Ja?» steckte Pinar den Kopf ins Zimmer:
«Ich gucke mir die Else-Lasker-Schüler-Ausstellung an. Hast du Lust mitzukommen? Ich denke, das fändest du auch spannend.»
Panik überkam Belinda. Um Zeit zu gewinnen, fragte sie: «Gibst du mir eine Minute?» Pinar nickte und verschwand. Augenblicklich hatte etwas Belindas Augenlider nach unten gezogen und sie sank noch tiefer in das Kissen ein. Doch die Müdigkeit, die Besitz von ihrem Körper ergriff und ihn schwer und schwerer machte, wurde durch ein zartes Stimmchen gelöchert, das rief: Rausgehen! Sonne! Sie lag ganz ruhig in der Hoffnung, die widerstreitenden Gefühle würden sich von alleine so lange bekämpfen, bis eins übrig blieb und ihr klar signalisierte, was sie tun sollte. Doch die Unentschlossenheit kroch ihr vom Magen aus den Hals hoch und manifestierte sich dort als Kloß. Wie sie diesen Zustand hasste!
Pinar kam zurück: «Kann ich dir helfen?» Belinda nickte und Pinar setzte sich auf den Bettrand.
«Was denkst du?»
«Ich bin müde und würde gerne im Bett bleiben.» Pause.
«Ist das alles?»
«Nein. Ich freue mich über dein Angebot und würde dir gern Gesellschaft leisten.»
«Meinst du, dass es gegen die Müdigkeit hilft, im Bett liegen zu bleiben?» fragte Pinar.
«Nein, nicht wirklich. Ich befürchte eher, dass ich nicht in Ruhe hier liegen kann, weil ich mir Vorwürfe machen werde.»
«Warum Vorwürfe?»
«Weil ich meine innere Schweinehündin nicht überwunden habe.»
«Und was ist, wenn du mitkommst?»
«U-Bahn fahren? Inmitten fremder Leute?»
«Wir können auch zu Fuß am Kanal entlanggehen. Und mitten in der Woche wird die Ausstellung nicht sehr voll sein. Danach können wir in dieses kleine Café am Friedhof gehen. Dort ist es immer ruhig.» Belinda schwieg. Sie versuchte Pinars Blick auszuweichen, doch dann nahm diese ihre Hand und drückte sie leicht. Belinda atmete tief ein.
«Ich wünsche mir gerade, du hättest gar nicht gefragt und das macht mich traurig und wütend zugleich. Andererseits habe ich Lust, die Bilder zu sehen und anschließend mit dir darüber zu sprechen. Und Kuchen zu essen...»
Pinar hatte nickend zugehört und wartete jetzt, ob noch etwas von Belinda kam. Nach einer Pause kam tatsächlich noch etwas: «Ist es dir wichtig, dass ich dich begleite?»
«Ja, das ist es,» antwortete Pinar. «Trotzdem wünsche ich mir, dass du die Entscheidung deinet- und nicht meinetwegen triffst.» Irgendwann hatten Belinda und Pinar festgestellt, dass sie jeweils der anderen zuliebe Dinge taten, auf die sie selber gar keine Lust hatten. Das gipfelte in gemeinsamen Unternehmungen, die beiden nicht gefielen, von denen sie aber dachten, dass die andere sie gerne tun würde. Seit sie das endlich bemerkt hatten, achteten sie darauf, bei sich zu bleiben und nicht für die andere mitzudenken.
Belinda schloss die Augen und überlegte einen Moment. «Ok, Spaziergang, Ausstellung, Café. Das traue ich mir zu.»
«Das ist schön. Dann bis gleich.» Pinar stand auf und ging hinaus. Belinda blieb noch einen Augenblick liegen, bevor sie die Bettdecke zurückschlug und die Beine über den Rand schwang. Der Holzboden unter ihren Füßen war warm von der Sonne, die ins Zimmer schien. Langsam stellte sie sich hin und streckte sich. Doch schon beim Gang ins Bad fing sie an, an ihrem Entschluss zu zweifeln. Nach der Katzenwäsche war sie so erschöpft, dass sie sich wieder setzen musste. Sie zog sich ein T-Shirt über und blieb dann mit der Hose in der Hand sitzen, bis Pinar kam, um nachzuschauen, wo sie blieb.
«Fehlstart?» fragte Pinar.
Belinda nickte. «Weißt du, wie sich das anfühlt, wenn der Kopf sagt: Rausgehen wird dir gut tun! Und dein Körper sagt: Bleib liegen! Und beide haben absolut keine Verbindung miteinander?»
«Ich weiß nicht, ob der Vergleich hinkt, aber so etwas erlebe ich jedes Mal, wenn ich versuche, mich zum Sport aufzuraffen.» Belinda verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen und schüttelte den Kopf. Sie seufzte einmal tief, erhob sich und zwei Minuten später stand sie zum Aufbruch bereit.

Am Kanal stießen sie auf ein paar Angler, die es sich trotz kühler Temperaturen mit Segeltuchstühlen und Getränken in der Herbstsonne bequem gemacht hatten. Belinda fragte sich, ob sie sich dort zum Biertrinken und Ausspannen trafen oder ob sie die gefangenen Fische tatsächlich essen wollten. Da auf dem Wasser reger Schiffsverkehr herrschte, schien ihr das kein geeigneter Ort für leckere Fische zu sein. Doch trotz des Treibens auf dem Kanal konnte man hier tatsächlich Ruhe finden.
«Ich bin froh, dass du mitgekommen bist», sagte Pinar, nachdem sie eine Weile stumm nebeneinanderher gegangen waren.
«Das bin ich auch. Und ich danke dir für deine Bemühungen, mich aus dem Bett zu holen. Ich komme mir vor wie in The World is full of fools von Kevin Coyne.»
«Was meinst du?»
Belinda fing an zu singen: «It's a sunny day, sun like a bauble rolling over the sky. Come on outside, enjoy yourself. But I can't, I don't know why. Maybe you can change that for me. Und du hast es heute für mich verändert, ich konnte rausgehen und den Tag genießen.»
«Das ist schön. Mir tut es nämlich weh, dich so erschöpft und antriebslos zu erleben. Für mich bist du immer noch die aktive, kommunikationsfreudige Frau, die ich so oft erlebt habe. Ich kann es manchmal gar nicht glauben, dass du dieselbe Person bist.»
«Das geht mir genau so. Meinst du, dass mein momentanes Leben auch nur ansatzweise in mein Selbstbild passt? Das macht es noch schwerer, die Dinge zu akzeptieren, ohne mich dauernd dafür zu verurteilen.»
Pinar wechselte das Thema: «Weißt du eigentlich etwas über das Leben von Else Lasker-Schüler?»
«Nur, dass sie 1933 Deutschland verlassen musste.»
«Ich habe in der letzten Zeit viel über sie gelesen. Interessiert es dich?» Belinda nickte und Pinar erzählte in groben Zügen den Lebensweg der Künstlerin. Sie fühlte sich in ihrer ruhelosen Existenz von der Welt unverstanden und fand nur kurz in der Freundschaft mit bedeutenden Menschen einen Trost für die großen Enttäuschungen ihres Lebens.
Belinda hatte schweigend zugehört. «Wieso meintest du, dass die Ausstellung für mich spannend sein könnte?»
«Ich weiß auch nicht genau. In manchen Dingen hat sie mich an dich erinnert. Als sie zum ersten Mal mit Franz Marc in Kontakt getreten ist, schrieb sie ihm: Warum haben Sie die Versöhnung gezeichnet – Sind Sie auch so schmerzlich verloren wie ich, dass ich keinen Weg mehr habe, nur Schluchten? Du hast in der letzten Zeit ähnlich geklungen. Und sie hat mit Franz Marc eine Art Rollenspiel gemacht: Sie war Prinz Jussuf und Marc war Reuben. Mir scheint, sie hat das als eine Art Rückzugsort genutzt, um ihr Leben zu ertragen. Und als sie in Jerusalem im Exil lebte, hat sie sich dort trotz vieler Menschen um sie herum sehr einsam gefühlt. Auch das kam mir bekannt vor.»
«Das klingt in der Tat nach gewissen Schnittmengen», stimmte Belinda ihr zu.
Im Museum war Belinda fasziniert, wie sehr diese Lebensgeschichte in den Bildern Ausdruck fand. Sie sah, wie verloren sich die Künstlerin gefühlt hatte, aber auch, wie sehr sie in ihren Rollen aufging und sich darin mit ihrer Verletzlichkeit versteckte. Bei einem Bild war es besonders deutlich und sie blieb lange davor stehen. Als sie endlich erkannte, an wen sie dieses Bild erinnerte, merkte sie, dass Pinar neben ihr stand. Und wie aus einem Munde sagten sie: «Michael Jackson, oder?» Belinda legte ihren Arm um Pinars Schulter und so standen sie noch eine Weile und betrachteten den einsamen Paradiesvogel auf dem Bild. Auf einer Tafel fand sie anschließend noch ein Zitat, das etwas in ihr seltsam berührte: Jedoch kam ihr im Gleichklang der Seelen keiner so nahe wie Franz Marc. Sie, die nicht fertig wurde mit dem Leben, fast ständig in Kämpfen lebend mit Menschen, die ihr Dasein verbitterten und kein Verständnis hatten. Es war nicht leicht, ihr Liebe entgegenzubringen, die sie erwartete und oftmals verkannte.

Bevor sie das Museum verließen, wollte Belinda noch schnell zur Toilette. Als sie den Vorraum betrat, stand eine Frau am Waschbecken und wusch sich die Hände. Sie blickte irritiert auf und schaute Belinda im Spiegel an, die sofort in den Kabinengang abbog und dabei vor sich hinmurmelte: «Sag bloß nichts!» Doch da rief die Frau schon «Hallo!» hinter ihr her, um gleich anzuschließen: «Das hier ist das Frauenklo!» Belinda drehte sich auf dem Absatz um, schoss auf die Frau zu und zischte ihr ins Gesicht:
«Und? Auf welches Klo soll ich Ihrer Ansicht nach denn gehen?» Die Frau erschrak und stotterte eine Entschuldigung. «Ich habe nicht gesehen, dass sie eine Frau sind...» Belinda überlegte kurz, ob sie der Frau sagen sollte, hier sei auch nicht die Toilette für Blinde, aber plötzlich fühlte sie sich nur noch müde. Sie drehte sich um und ging wortlos in eine der Kabinen.
Pinar erwartete sie auf dem Vorplatz. «Alles in Ordnung?» fragte sie.
«Ach, nur das Übliche.»
«Toilettenverwirrung?»
Belinda nickte. «Passt du nicht ins Schema, passt du nicht ins Schema.»
Pinar seufzte und schüttelte den Kopf. Dann fragte sie: «Kaffee? Kuchen?»
«Gute Idee.»
Auf dem Heimweg hoffte Belinda, sie könnte von dem schönen Tag wenigstens einen Bruchteil in die Nacht retten.
Most people do not listen with the intent to understand, they listen with the intent to reply.

Freudestrahlend

Belinda war immer noch frustriert, verzweifelt und hoffnungslos. Was sie richtig fertig machte: In dieser Situation fiel ihr nichts ein, was sie tun konnte, damit es ihr besser ging. Es war November und sie war am Ende. Es gab keinen Grund. Nur Abgrund.

Es war Dreamcatcher, die es als nächste merkte und sie darauf ansprach. Die beiden kannten sich seit einigen Monaten aus dem Last Exit, einem Forum für Depression und Suizid, und sie hatten Schnittmengen: Beide fühlten sich suchtartig zu einer Lehrerin hingezogen und nahmen die Herausforderung, sich den Bürden des Lebens zu stellen, unverdrossen an. Sie waren von Anfang an sehr vertrauensvoll miteinander und pflegten eine Art Brieffreundschaft ohne Verpflichtung. Belinda dachte manchmal, dass es schon seltsam sei, sich mit wildfremden Menschen über ihre Traumata auszutauschen. Aber die Anonymität des Forums bot einen Schutz, den sie in realen Begegnungen nicht hatte. Und im Forum war einfach klar: Hier kannten sich alle mit den Tiefen aus. Hier musste sie nicht gutgelaunt spielen, wenn ihr zum Heulen war. Aber dort gab es natürlich auch Leute, mit denen sie lieber nichts zu tun hatte und solche, bei denen ihr der Kontakt angenehm war. Und bei Josephine – wie Dreamcatcher im echten Leben hieß - hatte sie die schöne Erfahrung gemacht, dass sie ihr mit großem Interesse begegnet war, ohne sich von sonst üblichen Vorurteilen davon abbringen zu lassen. Normalerweise hätte sie bei Josephines Art zu schreiben - wie der Schnabel es rauslässt und voller Rechtschreibfehler -, sofort assoziiert: dumm und nachlässig, nicht daran interessiert, ob andere das wirklich lesen und verstehen können. Doch hinter dem intuitiven, ungefilterten Ausdruck steckte ganz viel Kraft und Humor, das hatte sie genossen. Und da Josephine auch noch viele Jahre jünger war als sie selber, empfand sie eine gewisse Hochachtung, dass ein Mensch in diesem Alter trotz aller Widrigkeiten schon so klar mit sich selber war.

Belinda war erleichtert, dass sie ihre Suizidgedanken aussprechen durfte, aber der Gedanke, dass Josephine sich um sie sorgte, machte ihr auch zu schaffen. Und als diese am Telefon weinte, als Belinda schilderte, wie nah dran sie in den letzten Tagen gewesen war, da wachte Belinda zumindest so weit auf, dass sie beide eine Abmachung treffen konnten. Sie machten einen Vertrag: Belinda formulierte, was sie selber tun und lassen wollte, damit es ihr besser ging. Als Erstes schrieb sie Dinge und Menschen auf, die ihr gut taten. Das half ihr im Falle des Falles, sich zu erinnern.

Belindas Listen:
1 Was mich glücklich macht und ich alleine tun kann
2 Was mich glücklich macht und ich nicht alleine tun kann
3 Menschen, die mir guttun
4 Menschen, die mir nicht guttun
Die letzte Liste diente dazu, dass sie sich von Menschen fernhielt, die ihr Energie raubten und dafür nichts hinterließen, das für Belinda von Wert war. Und sie machte einen Erste-Hife-Plan bei akuten Suizidgedanken, der lautete: Ich verlasse den Ort, an dem ich mich momentan befinde und begebe mich an meinen sicheren Ort. Dazu mache ich mir aufbauende Musik an. Als Nächstes bewege ich mich zu der Musik oder mache zwei Yogaübungen. Wenn das alles nichts hilft, dann rufe ich Josephine an und bitte um Hilfe.
Dieser Vertrag brachte ihr große Erleichterung. Josephine würde im Notfall für sie da sein, aber noch wichtiger war die Sicherheit, dass es ganz viel gab, mit dem sie sich selber helfen konnte. Und dasselbe galt natürlich auch umgekehrt. Sie wurde gebraucht. Das war wichtig.

*Aufreibende Pläne*
Kurz darauf schneite eine Einladung in Belindas elektronisches Postfach: Auszeit auf einer italienischen Insel – TaKeTiNa auf Ischia. Ihr erster Gedanke war: Das ist genau das, was ich dringend brauche: eine Zeit in schöner Umgebung, in der ich mich ausschließlich um mein Wohlergehen kümmern kann. Während der Suchtbeziehung zu ihrer Tanzlehrerin hatte sie auf der Suche nach Erleichterung und Entspannung schon Erfahrung mit TaKeTiNa gesammelt und wusste, dass es sie glücklich machte. Sie liebte es, sich im Rhythmus zu bewegen und zu singen. Sie genoss das Gefühl, von der Gruppe getragen zu werden und die Sicherheit, durch sie wieder in den Ablauf aus Schritten, Klatschen und Singen hineinzufinden, wenn sie herausgefallen war. Belinda hatte kürzlich einen Vergleich gelesen, den sie nicht abwegig fand: Beim TaKeTiNa sei es, wie in den Mutterleib zurückzukehren, eingebunden in den Rhythmus des Körpers und ständig würde man wachsen. Sie hatte an mehreren Workshops teilgenommen und hatte sich dabei sehr im Hier und Jetzt aufgehoben gefühlt: schwebend in einer vergangenheits- und zukunftsfreien Zone, unbelastet, frei.

Der zweite Gedanke war der Zweifel, ob sie zu der Zeit Urlaub bekommen würde, da die Mütter in den Ferien Vorrang hatten. Und der dritte Gedanke war, dass der Preis für den Workshop und die Unterkunft eine furchteinflößende vierstellige Zahl betrug. Wo ein Wille ist, werde ich den Weg schon ebnen, dachte sie kämpferisch. Scheiß auf Rücksicht, scheiß aufs Geld. Sie schrieb sofort zurück und meldete sich an. Und da sich eine so weite Reise für eine Woche nicht lohnt, beschloss sie, die Reise auf zwei Wochen zu verlängern und sich ein bisschen in Italien umzuschauen.
Erst später sackte in ihr Bewusstsein, dass es damit nicht getan war: Sie musste ja auch die Reise dorthin organisieren und die Unterkunft für ihre Verlängerungswoche buchen. Als sie merkte, dass ihr der Schweiß zwischen den Schulterblättern den Rücken herunterrann, versuchte sie, sich mit einem tiefen Atemzug zu beruhigen. Seit Pinar und sie sich vor drei Jahren getrennt hatten, war Belinda nicht mehr im Urlaub gewesen. Sie fühlte sich schon mit der Planung immer völlig überfordert. Nicht nur mit der Entscheidung, wohin es gehen sollte, sondern auch mit der Suche nach einer Unterkunft oder nach Fahrgelegenheiten. In ihrer zehn Jahre langen Lebenspartnerschaft hatte immer Pinar alles organisiert und erst jetzt bemerkte Belinda, wie sehr sie das entlastet hatte. Auch während der Reisen hatte Pinar immer die Kommunikation und Navigation übernommen, besonders, wenn andere Sprachen involviert waren. Belinda musste sich um nichts kümmern und konnte sich immer darauf verlassen, dass alles wunderbar in ihrem Sinne geregelt war. Dadurch hatte sich allerdings auch den Eindruck verfestigt, dass sie gar nicht mehr in der Lage sei, so etwas alleine zu organisieren. Vielleicht war das einer der Gründe, warum Pinar sich getrennt hatte: Dass Belinda jetzt erst richtig bewusst wurde, was Pinar alles für sie getan hatte. Sie hatte das alles lange für selbstverständlich gehalten, doch irgendwann wurde es Pinar zu viel, Belindas Geliebte, Freundin, Mutter, Haushaltshilfe, Reiseplanerin und Lebenshelferin zu sein. Was hatte sie damals ganz frustriert gesagt? «Wenn es um deine Tanzerei geht, stellst du dich doch auch nicht so hilflos!» Belinda fand das ungerecht. Sie stellte sich nicht hilflos! Doch sie konnte den Unterschied selber nicht erklären.

Jetzt seufzte sie und beschloss, Pinar trotzdem um Hilfe zu bitten. Erleichtert konnte sie mal wieder feststellen, wie wenig nachtragend Pinar war.
«Geh am besten in das Reisebüro unter den Yorkbrücken, die sind auf Bahnreisen spezialisiert.» Belinda folgte ihrem Rat und ein äußerst geduldiger Mitarbeiter organisierte für sie die komplizierte Zugfahrt sowie die Fähre und buchte auch gleich das Hotel.

*Hoffnung*
Belinda zog ihre Schuhe aus und schlüpfte in ein Paar Hausschuhe, das im Flur für sie bereitstand. Ihr Therapeut wusste nicht, was für ein großes Lob an seiner Arbeit diese Tatsache darstellte: Belinda ertrug dieses demütigende Schuheausziehen, anstatt dem Impuls nachzugeben, der sie schnurstracks wieder aus der Praxis hinausgetrieben hätte.
«Wie geht es Ihnen?», fragte er, nachdem sie auf zwei gegenüberstehenden Sesseln Platz genommen hatten. Belinda hatte – wie bei den Schlappen – eine Weile gebraucht, um ihre Aversion gegen diese Frage abzulegen und sie nicht als Floskel, sondern als ehrliche Einladung zu einem Gespräch über ihre Gefühle zu begreifen.
«Mir geht es sehr viel besser als beim letzten Mal.»
«Sie sagten vor zwei Wochen, Sie hätten Angst, den Jahreswechsel nicht zu überstehen. Wie sehen Sie das jetzt?»
«Die Angst ist wesentlich kleiner geworden. Zum einen habe ich mir ein gutes Erste-Hilfe-Paket zusammengestellt und zum anderen habe ich im nächsten Jahr etwas vor, auf das ich mich freue.» Sie erzählte ihm von der geplanten Reise und den Gefühlen, die die Vorbereitungen begleitet hatten.
«Es ist gut, dass Sie sich an diese Dinge heranwagen und ausprobieren, was möglich ist. Sie wirken auf mich heute sehr unternehmungslustig.»
«Ja, so fühle ich mich auch», lachte Belinda.
«Und was wünschen Sie sich jetzt?»
«Ich wünsche mir, dass mir diese Lust nicht so schnell wieder verloren geht.»
«Was brauchen Sie dafür?»
«Hoffnung», antwortete Belinda.
«Ok, dann gucken wir mal, was es da für Möglichkeiten gibt. Was halten Sie davon, wenn wir gemeinsam einen Ressourcenzustand aufbauen?»
«Und das heißt?»
«Sie suchen in Ihrer Erinnerung etwas, wo Sie sich voller Hoffnung gefühlt haben und machen dieses Gefühl durch verschiedene Anker abrufbar.»
«Sie meinen, dass ich auch Hoffnung empfinden kann, wenn ich momentan gar keine Hoffnung empfinde? Funktioniert denn so ein stellvertretendes Gefühl wirklich?»
«Probieren Sie's aus.»

Josephine freute sich über die guten Neuigkeiten und steuerte noch eine Idee bei:
«Die Strecke Berlin-Italien führt doch hier vorbei. Möchtest du nicht einen Zwischenstopp einlegen?»
«Hältst du das wirklich für eine gute Idee?», fragte Belinda.
«Du meinst, weil wir so unterschiedlich sind?»
«Ja, zum Beispiel. Und weil wir keine Ahnung haben, worauf wir uns da einlassen.»
«Bis dahin sind es ja noch ein paar Monate. Die können wir nutzen, um uns darauf vorzubereiten.»
«Vielleicht hast du Recht. Das wäre dann Frau Superstruktur trifft Chaosqueen, oder?» In den folgenden Wochen tauschten sie viele Nachrichten zum Thema aus, glichen ihre Vorstellungen ab und schmiedeten Pläne.
Most people do not listen with the intent to understand, they listen with the intent to reply.