Das muss endlich aufhören...

Begonnen von cria, 07 Dezember 2016, 12:16:24

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cria

Hallo,

ich bin zur Zeit sehr verzweifelt und möchte hier einfach mal aufschreiben, was mich beschäftigt.

Kurz zu mir: Ich bin 28, weiblich, lebe in einer Großstadt, wohne in einer Wohnung mit meinem Freund, habe bereits einen Bachelor und studiere jetzt im Master (von beiden Studiengängen war ich nicht überzeugt) und frage mich, was ich denn mit meinem Leben anfangen soll. Seit einem Jahr mache ich eine Therapie wegen Depressionen (1 mal die Woche für 50 Minuten).

Depressiv war ich - wie ich das jetzt rückblickend beurteilen kann - wahrscheinlich schon als Kind. Meine Eltern haben sich oft gestritten und mit 13 Jahren habe ich erfahren, dass ein Elternteil schwer drogenabhängig ist (was ich dann natürlich auch mitgekriegt habe). Später folgte die Scheidung und eine lebensbedrohliche Erkrankung von dem anderen Elternteil (noch während meiner Schulzeit, Abitur), sodass ich mich alleine kümmern musste und auch weiterhin zur Schule gegangen bin. Dort habe ich mir natürlich nichts anmerken lassen.

Ich habe es also perfektioniert, mir eine Fassade aufzubauen, die ich bis heute habe. Allerdings wird es immer schwerer.
Ich habe schon vor einigen Jahren gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich ziehe mich zurück, bin über Wochen und Monate traurig, werde immer ängstlicher, kann kaum essen... Den notwendigen Schritt zur Therapie habe ich dann aber leider erst vor einem Jahr gewagt.

Nun merke ich aber, dass alles immer schlimmer wird. Ich komme nicht aus dem Bett, habe an nichts Freude, glaube 0 an mich selbst, sehe keinen Sinn mehr, fühle mich nutzlos und dumm. Dazu kommt, dass ich total schusselig geworden bin und die einfachsten Dinge vergesse. Eigentlich kein Wunder, wenn der Kopf sonst ständig mit Grübeln beschäftigt ist... Aber das macht mir große Angst. Ich war früher offen und kontaktfreudig. Jetzt bin ich in Gesprächen aufgeregt, verhaspel mich, vergesse Wörter. Das ist so unangenehm...

Dazu kommt, dass ich inzwischen ständig krank bin. Erkältungen, Mandelentzündung, aber es wurden auch schon zwei kleinere Tumore gefunden, die allerdings entfernt werden konnten, bevor sie wirklich bösartig wurden. Mein Körper macht einfach nicht mehr mit. Mir fehlt die Kraft, der Antrieb. Dazu nehme ich auch sehr schnell ab, was mich ebenfalls belastet, da ich sowieso sehr schlank bin. Das wird dann zu einem Teufelskreis. Ich sehe im Moment einfach kein Licht am Ende des Tunnels. Es ist alles nur schwarz.

Vor meinem Partner reiße ich mich zusammen, was natürlich auch Kraft kostet. Die wenigen Treffen mit Freunden rauben ebenfalls Energie. Und früher hatte ich Freude dabei. Heute zermürben mich die Angst und Selbstzweifel.

Manchmal frage ich mich dann, ob ich einfach nur faul bin und lieber auf der Couch liege. Aber oft kann ich einfach nichts anderes machen. Manchmal gehe ich um den Block. Das hilft nur kurz. Zum Sport zwinge ich mich 1x in der Woche. Ich koche liebend gerne, aber auch das macht nur noch sehr selten Spaß.

Mein Studium beende ich, weil es nicht mehr lange dauert. Das ist so ziemlich die einzige "Motivation". Ich kann wahrscheinlich nicht einmal etwas Sinnvolles damit anfangen (es ist ein geisteswissenschaftlicher Studiengang). Ich habe keine Pläne, Ziele. Alles plätschert nur so vor sich hin. Ich frage mich, was mein Partner an mir findet. Im jetzigen Zustand wären wir wohl nie ein Paar geworden.

Dann sehe ich andere in meinem Alter (oder jünger), die schon so viel mehr erreicht haben (oder einfach Ziele haben) ... und fühle mich noch schlechter.

Ich will, dass dieses ständige Grübeln aufhört. Ich will wieder unbeschwert lachen können. Ich will etwas machen, ohne dabei vorher erst alles von A bis Z zu durchdenken und zu überlegen, was alles schiefgehen könnte. Ich will wieder Freude an etwas haben, mich auf irgendwas freuen können. Ich will wieder normal mit Menschen reden können. Ich will wieder glücklich sein. :(


hardworking fool

Liebe Cria,

zunächst einmal willkommen hier im Forum. Ich hoffe du fühlst dich hier wohl und, dass es dir hilft dich mit anderen auszutauschen.

Als ich deine Zeilen gelesen habe, war ich erst einmal beeindruckt. Eine so klare und ehrliche, absolut nachvollziehbare Beschreibung einer klassischen Depression habe ich selten gefunden. Bei manchen Sätzen fragte ich mich, ob du vielleicht mich beschreibst, bzw. mich vor einem 3/4 Jahr. Da ging es mir nämlich ziemlich ganz genauso. Ich kann dir aber Mut machen. Bei mir hat sich seitdem einiges verbessert. Es gibt also Hoffnung. Interessanterweise war es bei mir vor allem der Austausch mit Betroffenen hier im Forum der mir geholfen hat.

Ob du mit deinem Studium später etwas anfangen können wirst, kann ich dir leider nicht sagen. Ich habe selbst an der philosophischen Fakultät studiert. 10 Jahre lang hat mir das ein gutes Auskommen garantiert, dann haben sich die Verhältnisse geändert und aus heutiger Perspektive könnte ich natürlich sagen, es war Zeitverschwendung - für die Arbeit die ich momentan mache, bräuchte ich nicht einmal Abitur - ABER selbst in den düstersten Zeiten der Arbeitslosigkeit habe ich nie bereut auf der Uni gewesen zu sein. Ich hoffe sehr, dass du das auch einmal sagen kannst.

In einem Punkt möchte ich dir aber ganz energisch widersprechen: "Dann sehe ich andere in meinem Alter (oder jünger), die schon so viel mehr erreicht haben (oder einfach Ziele haben) ..."

Leider neigen wir dazu uns immer mit Leuten zu vergleichen, die "besser" sind. Aber sei doch mal ehrlich! Nachdem was du so erzählst zu urteilen, hattest du wirklich keinen leichten Start ins Leben. Trotzdem hast du das mit der Schule offenbar glänzend gemeistert. Sicher, die Zahl derer die mit dem Abitur aus der Schule gehen ist in den letzten Jahren immer mehr gestiegen, trotzdem gibt es mehr als genug die an dieser Hürde scheiterten.
Dann hast du deinen Bachelor bereits in der Tasche - wie viele Studenten brechen ihr Studium schon vorher ab? Ich könnte dir noch eine ganze Menge Dinge auflisten, die du erreicht hast. Allein aus den wenigen Worten die du geschrieben hast lässt sich nämlich manches ableiten!
Selbst deine Fassade aufrechtzuerhalten ist keine geringe Leistung und das mit der Therapie ist sicherlich auch nicht einfach. Aber trotzdem hast du immer weiter gemacht. Darauf solltest du stolz sein.

Natürlich bist du im Augenblick zerstreut, hoffnungslos überfordert und am Ende deiner Kräfte. Eine Depression ist schließlich kein leichter Schnupfen sondern eine verdammt schwere Krankheit die noch dem stärksten Kerl sämtliche Lebensenergie entziehen kann. All dies solltest du berücksichtigen und aufhören dir selbst die Schuld für deinen Zustand zu geben.

Hast du es schon mit ADs probiert? Vielleicht brauchst du auch mehr als nur eine Therapiesitzung in der Woche?

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute. Gib nicht auf!
LG Fool

cria

Hallo Fool,

vielen Dank für deinen Beitrag, den ich heulend gelesen habe. Trotzdem war das gut. Ich glaube, es ist auch gut, dass ich noch weinen kann. Meistens geht das wunderbar.

Ich glaube auch, dass ich recht genau weiß, was ich habe, kenne die Symptome usw. Ich hinterfrage sowieso sehr viel und will immer alles ganz genau wissen (wenn man beim Arzt z.B. eine Diagnose bekommt etc.). Ich habe auch meine Therapeutin gefragt, ob es so etwas wie einen Arztbrief über mich gibt und wenn ja, ob ich ihn denn lesen darf. Sie war erstaunt und meinte, dass das bisher noch keiner gefragt hat. Ich darf ihn lesen. Aber ob ich das will?? Wahrscheinlich ist es auch besser, wenn ich meine ganzen Störungen nicht schwarz auf weiß auf Papier sehe.. Keine Ahnung...

Ist es denn normal, dass es mir nach einem Jahr Therapie eher schlechter geht? So langsam denke ich, dass man mir gar nicht helfen kann. AD wurde mir in einer ganz schlimmen Phase vor meinem Hausarzt verschrieben, bei dem ich mir ein Attest für die Arbeit (die ich abgebrochen habe) geholt habe. Ich sollte das aber vorher mit meiner Therapeutin besprechen. Nach dem Abbruch ging es mir besser, ich konnte wieder etwas essen und schlafen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Waage, aber es waren sicher weit unter 50kg. Mein Normalgewicht sind eigentlich um die 53 kg, bei einer Körpergröße von 1,70m. Dicker werde ich nicht, da kann ich mich noch so doll anstrengen. Das finden sicherlich viele toll, ich finde es fürchterlich. Und bei seelischen Problemen esse ich eben kaum mehr, was alles noch viel schlimmer macht.

Ich bin mir sicher, dass es mir mit meinem Studium ähnlich gehen wird. Und dann hätte ich auch direkt nach dem Abi eine Ausbildung machen können und würde jetzt wenigstens schon Geld verdienen. So habe ich 10.000€ Bafög-Schulden und am Ende noch 4.000€ Studienkredit. Und das alles für ein Studium, was ich halt einfach mache, aber nicht zu 100% dahinter stehe. Wenn ich wenigstens wüsste, dass ich das Geld nach dem Studium schnell zurückzahlen könnte... Das Studium macht manchmal auch Spaß, ich kriege ganz gute Noten. Und trotzdem quäle ich mich und isoliere mich von den anderen. Aber zu viel Unigequatsche konnte ich eh noch nie vertragen. Und ich finde es auch nicht schlimm, wenn man ein wenig eigenbrödlerisch ist. Aber ich stehe mir einfach total im Weg. Das ist wahrscheinlich das größte Problem: Ich stehe mir selber total im Weg.

Ich weiß, dass ich eigentlich schon viel geschafft habe und an sich ein starker Mensch bin - weil ich aber auch stark sein musste. Es ging ja nicht anders (das sage ich in der Therapie häufiger..). Ich habe mein Abi gemacht, obwohl zu Hause alles einfach nur schlimm war und ich große Angst hatte. Aber davon weiß ja keiner etwas.. Ich bin nach dem Abi ins Ausland gegangen, habe mich alleine durchgeschlagen. Ich habe ein Studium angefangen und beendet. Ich habe meine Eltern unterstützt. Eigentlich ist das alles gut, bringt mir nur leider grad gar nichts.

Ich bin sehr wütend, weil mich dieser Zustand so nervt. Und ich war früher so fröhlich. Und dann denke ich mir: Was wäre, wenn du jetzt nicht so eine kack Depression hättest? Und mir macht das auch Angst, weil ich Gedanken kriege, die ich früher nie hatte. Dass es nicht besonders schlimm wäre, wenn ich bei einem Attentat oder was auch immer in die Luft fliegen würde. Das finde ich sehr gruselig. Manchmal spielt die Fantasie dann verrückt. Ich sitze im Bus und denke darüber nach, wie ich bei einem Aufprall an die Wand klatschen würde. Wieso macht mein Kopf das denn?!

Und ich verpasse so viel. Ich merke das, wenn ich mal einen guten Tag habe. Dann bin ich nett, offen, kann plaudern. Und mein Gegenüber ist auch nett zu mir, ich bekomme ein positives Feedback, fühle mich besser. An schlechten Tagen natürlich nicht. Da kann ich mich ja nicht mal selber leiden. Wie sollen es dann andere tun. Es ist alles zum verrückt werden. Wirklich...





hardworking fool

Hallo Cria,

wir scheinen uns wirklich sehr ähnlich zu sein. Ich war auch von Anfang an fest entschlossen mir Einblick in meine Patientenakte geben zu lassen - allerdings möchte ich das erst tun wenn ich meine Therapie abgeschlossen habe. Hoffentlich erfolgreich.
Mein Studium habe ich auch eher als Eigenbrödler durchgezogen. Ob das damals schon ein Zeichen einer Depression war? Möglich, aber wenig wahrscheinlich. Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, aber danach bin ich auch ganz froh, wenn ich keinen mehr sehen muss.

Ein paar Unterschiede scheint es aber glücklicherweise doch zu geben - ich kann nicht weinen. Schon lange nicht mehr. Aber das war schon früher so, je bescheidener es mir ging, desto mehr habe ich Witze gerissen und gescherzt. Da konnte es dann schon manchmal passieren, dass andere die Tränen in den Augen hatten - vor Lachen. So ganz ohne Grund habe ich den Nickname Fool ja nicht gewählt - auch wenn das mit dem "hardworking" absolut ironisch gemeint ist.

Verschlechterung in der Therapie? Halte ich für durchaus denkbar, dass das normal ist. Bei mir war es so, dass ich quasi an den Ohren zu meiner Therapeutin geschleift wurde, was die Sache sicherlich nicht einfacher machte. Als ich dann doch anfing über meine Situation zu reden ist mir erst richtig bewusst geworden, wie schlecht es mir eigentlich die ganze Zeit gegangen war. Ich hatte mir z.B. damals einen Fahrstil zugelegt - im Vergleich ist Russisches Roulette eine sehr sichere Freizeitgestaltung. Aber erst als meine Thera mich ganz konkret nach Selbstmordgedanken gefragt hat, hat es Klick gemacht. Die nächsten Wochen und Monate waren echt hart. Nachdem sich der Gedanke erst einmal festgesetzt hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Dabei wollte ich gar nicht sterben, ich konnte nur so nicht weiter leben.
Da habe ich dann auch mit ADs angefangen. Allerdings bekam ich die nicht vom Hausarzt sondern von einem Experten - und ich habe auch nicht nur 1 Sorte ausprobiert sondern x verschiedene bis endlich etwas gewirkt hat. Heute bin ich so weit, dass ich die Pillen versuchsweise abgesetzt habe. Sind erst 1 1/2 Wochen, aber es geht mir ganz gut damit.
Aber zurück zur Therapie. Als ich schon über ein halbes Jahr in Therapie war - und ich fühlte mich richtig wohl damit - entschied ich mich ein Thema anzusprechen, was ich noch nie erwähnt hatte. Tatsächlich habe ich in dieser Stunde kaum etwas wirklich gesagt, die Erinnerung machte mich einigermaßen mundtot, aber danach ging es mir so hundsmiserabel, dass ich dachte ich würde sterben. Keine Ahnung wie ich es geschafft habe nach Hause zu kommen. Seelengrippe nannte ich das damals. Noch am übernächsten Tag musste ich mich beim Einkaufen am Wagen festhalten, so sehr zitterte ich. Man kann also sagen, dass es mir durch die Therapie nicht nur ein bisschen sondern ganz gewaltig schlechter ging. - Soviel zum Thema "Psychotherapie bewirkt gar nichts," hat also auch keine negativen side effects.

Seit jener Horrorsitzung geht es (fast) kontinuierlich aufwärts, aber ich rechne damit, dass auch wieder Rückschläge auftreten können. Immerhin weiß ich jetzt, dass man eine Depression überleben kann.

Und jetzt will ich dir noch etwas mitteilen was dich wahrscheinlich vollends zur Überzeugung bringen wird, dass "The Fool" ein absolut verrücktes Huhn ist. Mittlerweile gelingt es mir sogar der Depression einiges abzugewinnen, ja, ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass ich für diese Erfahrung dankbar bin.[Wenn mir allerdings jemand die Wahl gelassen hätte - ich hätte auch gerne darauf verzichtet. So bescheuert bin ich dann doch nicht.] 
Ich habe durch die Depression einiges über mich (und andere) gelernt, ich machte dadurch die Bekanntschaft von ein paar ganz wundervollen Menschen und schloss neue Freundschaften.  Ich habe erkannt wie stark depressive Menschen wie du und ich tatsächlich sind - trotz Depression irgendwie weiter zu machen - das würden wahrscheinlich nicht einmal Superhelden vom Kaliber eines Clark Kent schaffen. ;-)

Lass dich nicht unterkriegen!

Herzliche Grüße Fool

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