Lieber Alleinundeinsam,
wahrscheinlich werden Dir meine Worte im Moment kein Trost sein, aber ich habe dennoch das Bedürfnis, meine Gedanken zu Deinem Gedicht mit Dir zu teilen:
Dass man sich immer mal wieder Fragen stellt, auf die man einfach keine Antworten findet, ist wohl unumgänglich. Manche Fragen tauchen auch über Jahre immer und immer wieder auf, ohne dass man zu einem Ergebnis kommt. Ich denke aber, dass dies nicht ohne Grund geschieht, sondern um sich selbst besser kennenzulernen. Denn Antworten auf diese Fragen findet man, indem man auf seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche achtet, seine persönlichen Ziele verfolgt und nach seinen eigenen Vorstellungen lebt (wobei man im Umgang mit anderen zu einem gewissen Grad natürlich auch Kompromisse eingehen und Rücksicht nehmen und nicht völlig egoistisch handeln sollte). Andere können einem Denkanstöße geben, aber bei solch persönlichen Fragen nicht ausreichend weiterhelfen – denn die Antwort liegt in einem selbst!
Wenn man keine Veränderungen zulässt, sondern die simple Variante wählt, einfach alles beim Alten zu belassen – eben so, wie man es gewohnt ist – kommt man nicht weiter. Lässt man es zu, neue und vielleicht völlig ungewohnte Erfahrungen zu machen, z.B. indem man ganz andere Wege geht als bislang, sich selbst ausprobiert oder seine Grenzen austestet, entwickelt man sich weiter, lernt die Facetten seiner eigenen Persönlichkeit besser kennen und entdeckt möglicherweise auch ganz andere Wünsche, Vorlieben und Interessen, derer man sich vorher überhaupt nicht bewusst gewesen ist. Dadurch können sich neue Möglichkeiten ergeben und neue Ideen und Pläne entwickeln, an die man vorher nie gedacht hat.
Das Resultat solcher Entwicklungen ist meistens, dass sich manche Fragen irgendwann von selbst beantworten. So hat man sich der Antwort auf die Frage, wer man eigentlich ist, allein schon dadurch genähert, dass man sich selbst intensiver kennengelernt und wahrgenommen hat. Oder die Frage nach dem "Warum": Wer sich an verschiedenen Dingen ausprobiert, wird u.a. bestimmt neue Interessen und Talente entdecken, herausfinden wodurch man Erfüllung und Glück erfährt und somit auch eher einen persönlichen Sinn des Lebens finden als jemand, der immer nur routinierten Abläufen folgt und sich anderen zu sehr unterordnet, sich selbst also vernachlässigt. Wenn man Letzteres tut, wird man nicht so gut oder sofort erkennen, warum genau man eigentlich so sehr leidet, weil man genauso wenig weiß, was man eigentlich will und was einem überhaupt fehlt. Und innere Ruhe erlangt man in der Regel auch nicht dadurch, dass man sich zurückzieht und schweigt, sondern durch das Herbeiführen von Veränderungen.
Ich beziehe diese Dinge nicht speziell auf Dich und Deinen Lebensstil, aber verstehst Du, was ich sagen will? Man muss sein Leben leben, indem man sich selbst bewusst wahrnimmt – und zwar nicht nur seinen Schmerz oder problematische Situationen, in denen man sich befindet. Ich weiß wie schwer das ist, gerade wenn man unter Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen leidet – allein schon wegen der Antriebsarmut, des mangelnden Selbstbewusstseins und -vertrauens oder der Ängste, die einen tagtäglich begleiten. Und die Grundvoraussetzungen dafür, die zumindest im Ansatz gegeben sein sollten, sind wohl Selbstvertrauen und Mut.
Ich wünsche Dir Mut und innere Stärke, damit Du eines Tages Antworten auf Deine Fragen findest!
Alles Liebe
Ina