...ich glaube, ich kann ein bißchen nachvollziehen, was du meinst. Ich war auch schon diesem Ort, der mich so hilflos machte, wenn Veränderungen sich nicht mehr aufschieben ließen. Wenn die Welt unterzugehen schien...und ich nicht loslassen konnte...wollte.
Aber ist nicht jeder Verlust auch selbst eine Veränderung und somit ein Chance? Ist nicht jeder Verlust auch ein Öffnen für die Zukunft? Etwas loszulassen bedeutet doch auch gleichzeitig Neuem einen Platz zu geben. Und der Verlust - könnte es hilfreich sein, ihn zunächst zu akzeptieren, als das, was er im Moment ist - Schmerz; und ihm dann seinen Platz in unserem Leben zu geben...als Erinnerung. Nicht vergessen, nur zurücklassen. Sicher bewahren in dem, was vorher war. Und dann weitergehen. Nach vorn schauen.
Verlust löst Schmerz aus, Trauer, Verlassenheit. Und ich denke, es ist wichtig, zu trauern. So lange, wie es dauert.
Wenn ich mir Gedanken über das Leben mache, erkenne ich, dass Leben auch Schmerz ist und Verlust. Genauso, wie Freude und Liebe. Sie sind auf eine Weise miteinander verknüpft, die wir manchmal vielleicht vergessen. Aber, Fee, jedes Ende ist auch ein Anfang. Wenn du dich verschließt, in deinem Schmerz einschließt, - wie sollst du wissen, wann es Zeit ist, sich einem neuen Anfang zu öffnen?
Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich, dass mein Schmerz mich in die Einsamkeit, in die Zurückgezogenheit trieb. Ich wollte nichts sehen, nichts hören. Und das war auch wichtig. Und richtig. Für eine gewisse Zeit.
Ich hatte das Glück, hinaus zu müssen. Und ein Leben, ein Dasein weiterführen zu müssen. So verlor ich nicht den Bezug zu dem, was vor meiner Tür passierte.
Ein ganzes Jahr war ich auf einer wundersamen Reise, habe viel erlebt, gelernt und entdeckt - in mir selbst. Gestern habe ich mich nicht nur von einem Leben, sondern auch von einem Ich verabschiedet, welches ich selbst nicht mehr akzeptieren konnte. So ging es nicht weiter. Ich wollte es nicht mehr und stellte fest, dass mich eigentlich nichts von einer Entscheidung abhält, - außer ich selbst.
Fee, ich weiß nicht, ob sich das Leben planen lässt. Ob sich die Zeit, die das Leben braucht, planen lässt. Jeder braucht seine eigene Zeit. Aber vielleicht kann ein grober Kalender helfen, sich nicht im Verlust zu verlieren, sondern eine Richtung und eine "Marschordnung" einzuhalten. Um überhaupt etwas zu haben, an das man sich halten kann...
"Wie lange darf man stark sein?" Das ist eine sehr gute Frage. Vielleicht so lange, bis uns jemand diese Stärke abnimmt. Die Stärke, Verantwortung, eine schwere Bürde. Und wir endlich schwach sein dürfen... Ich weiß, was du meinst.
Manchmal kann Neues überwältigend sein, ja. Sich vor uns auftürmen. Unsere Empfindungen durcheinander wirbeln. Und der erste Impuls ist ein Zurückschrecken. Ich frage mich, ob das der Moment sein könnte, in dem wir die Entscheidung treffen? Bleibe ich, ertrage die Ungewissheit und sehe dem, was kommt, mutig entgegen - oder drehe ich mich weg, sehe zurück, sehne mich zurück, nach dem, was einmal war? Will ich jetzt, in diesem Moment, zurück in etwas, dass es doch eigentlich nicht mehr gibt? Oder ist er es, der Augenblick, in dem ich meinen Schritt in ein neues Leben tue? Meinen Geist und mein Herz öffne, für das Leben?
Fee, du sollst nicht so tun, als ob. Du sollst du selbst sein, mit all deinen Gefühlen und Empfindungen, mit deinem Schmerz - aber auch mit all deiner Freude, deiner Liebe und dem Leben, dass du bist. Jeder braucht seine Zeit. Und die Zeit hat weder Anfang noch Ende. Du musst selbst entscheiden, wann der neue Anfang an deine Tür klopft.
Manchmal denke ich, dass wir alle eigentlich zwei Wesen in uns vereinen. Eines, dass die Ansprüche der Gesellschaft bedient, die Hülle, die in der gewünschten "Normalität" zwischen Arbeit und Supermarkt wandelt... und das andere, jenes Wesen, welches uns, unsere Gefühle, Empfindungen, Wünsche, Hoffnungen und Träume verkörpert. Und welches lacht, weint und trauert. Letztlich sind wir die Summe der beiden, denn beide geben uns Kraft. Und Mut. Für das Jetzt.
Ganz liebe Grüße, von einer sehr nachdenklichen
dawn